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182 C. Wolfgang von Weisl
Verluste zu bezahlen, schafft unser neuer Fonds, der ›Keren Hayesod‹, der Aufbaufonds.
Die Zionistische Konferenz in London hat ihn eben beschlossen.56 Und das Geld fĂĽr
diesen Fonds, für den Aufbau des sozialistischen Palästina, das werden die reichen jüdi-
schen Kapitalisten in Amerika und Europa hergeben ! So bauen wir aufÂ
– ohne Gewalt !
durch Frieden und Gerechtigkeit ! die neue jüdische Welt, das Palästina der Arbeit !«
Steinberg sah mit ehrlicher Achtung und fast mit Bewunderung auf den kleinen
Mann. Dieser Plan, mit der Wohltätigkeit von Kapitalisten eine sozialistische Gemein-
schaft zu finanzierenÂ
– bei jedem anderen Volk der Welt wäre er irrsinnig gewesen. Aber
Steinberg kannte die bĂĽrgerlichen Juden gut genug, um die tiefen mystischen Quellen
ihres Gefühlslebens richtig einschätzen zu können. Er kannte ihren triebhaften Drang
zum Wohltun. Wohltun um des Wohltuns willen. Ererbte Frömmigkeit und abergläu-
bische Angst vor dem bösen Einfluss des Neides, stummes Schuldgefühl schlechten
Brudergewissens dem ärmeren Genossen gegenüber und heilige Scheu vor Mitverant-
wortung am Misslingen edler Pläne (man will nicht Schuld haben, wenn dieses Ideal
nicht verwirklicht wird, obwohl man an seine Verwirklichung nicht glaubt) – das alles
treibt den bĂĽrgerlichen Juden zum Geldgeben um des Gebens willen, bis es fĂĽr die Bes-
ten unter ihnen fast zum Laster wird. Sie geben und wollen nicht hören, was mit dem
geschenkten Geld geschieht. Sie geben um ihretwillen, um ein böses Verhängnis abzu-
wehren, um ihrer Seele willen – und nicht für ein Ziel. Denn Ziel ist »Geschäft« – und
Wohltun ist Gottesdienst, es soll nichts von Geschäft an sich tragen.
Deshalb zweifelte Steinberg nicht daran, dass die jĂĽdische Bourgeoisie Millionen
und Millionen hergeben wĂĽrde, wenn man verstand, wĂĽrdig an ihre RĂĽhrseligkeit und
Begeisterungsfähigkeit zu appellieren. Und mit diesem Geld konnte die neue Gesell-
schaft im Heiligen Land errichtet werden, wenn nur die Organisation sparsam und ziel-
bewusst arbeitete. Steinberg war Russe genug, um die Schwierigkeit planwirtschaftli-
cher Kolonisation ebenso sehr wie die schöpferische Bedeutung des Bürgertums für den
gesellschaftlichen Aufbau des neuen Landes zu unterschätzen. Er hielt das Bürgertum
der Nachkriegswelt fĂĽr ĂĽberflĂĽssig, verfault, fĂĽr tot. Er glaubte nicht an das BĂĽrgertum,
er glaubte an Kazprin.
Kazprin fĂĽhlte seinen Erfolg. Las ihn aus den Augen des Anwalts, dem er in diesem
Augenblick sogar verzieh, dass er – ein vernünftiger Mensch mit Beruf und Familie –
ebenfalls zum Gewehr gegriffen hatte. »Deshalb siehst du«, begann er besänftigt, »des-
halb, weil wir eine so gewaltige Organisation aufbauen wollen, müssen wir sorgfältig
alles vermeiden, was nach reaktionären Tendenzen aussehen könnte. Wir brauchen die
56 Der Beschluss zur Errichtung des Keren Hayesod (»Gründungs-Staatsfonds«) wurde in der Zio-
nistischen Weltkonferenz in London (7. bis 24.Â
Juli 1920) mit Wirksamkeit ab 24.Â
Dezember 1920
gefasst.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355