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192 C. Wolfgang von Weisl
der »Schamasch«, ein Bürodiener aus dem südarabischen Jemen, der in billiger und ge-
schmackloser Uniform die Honneurs der Zionistischen Weltorganisation machte. Er
hielt Eldad an. Schu’al betrachtete den jemenitischen Juden, musterte die schlotternden
Khakihosen über den abgetretenen, schlecht gereinigten Tennisschuhen, die verdrückte,
schmutzige Schirmkappe über den glänzenden Schläfenlocken und ärgerte sich über
diese Würdelosigkeit. »Wenn ich einmal hier etwas zu reden habe, werde ich dich lehren,
deine Schuhe zu putzen, Hosen zu bügeln und die Kappe zu bürsten, du Schmierfink !«,
schwur Eldad dem Diener im Stillen zu, während er seinen Namen und Besuchzweck
auf ein Blatt Papier schrieb. »Für Adon Kazprin ?«, fragte der Diener. »Sie werden war-
ten müssen. Herr Kazprin ist in einer Konferenz.«
Eldad wartete. Er schlenderte über den gut fünfzig Schritt langen Gang und stu-
dierte die Visitenkarten der verschiedenen Abteilungsleiter, die an den Türen angenagelt
waren. Von den Toilettenräumen her kam eine Welle von Ammoniak-Geruch, der die
Nervosität des jungen Mannes steigerte. Seinetwegen hätten die zionistischen Büros in
Holzbaracken vor der Stadt sein mögen, als Sinnbild des armen jüdischen Proletariats,
das mit jedem Heller sparen muss, wenn es sein Land wieder aufbauen will. Oder es
hätte ein Palast sein dürfen, gewaltig, hochragend, der stolzen Macht des Fünfzehn-
Millionen-Volkes würdig72, das Herrenrechte auf Urväter-Boden anmeldet. Eins von
beiden. Aber die kleinbürgerliche Schäbigkeit dieses Exhotels dritter Klasse entsetzte
ihn.
Wem sollten diese Zionisten Achtung einflößen ? Arabern, denen die mächtigen
Klöster und Kirchen der Missionäre, die festungsartigen Trutzbauten der Deutschen
vor Augen stehen und die am Maß dieser Völker nunmehr die Juden messen ? Oder den
Engländern, die an die Wunder arabischer Baukunst gewöhnt sind, an die unvergleich-
liche Omar-Moschee, die traumhafte El Aksa ? Oder den jüdischen Arbeitern, die hier
weder Ordnung noch Schönheit, weder Sparsamkeit noch Großzügigkeit lernen ?
Wie ein Panzer legte sich Angst auf sein Herz, und die Kühle im schattigen Korri-
dor lief ihm als Schauer über den Rücken. Würde er hier etwas ändern können ? Er, der
kleine Beamte, der Sekretär des Herrn Kazprin ?
Er kannte Kazprin nicht persönlich, den Mann an der Maschine, der eine sozialisti-
sche Partei aus dem Erdboden Palästinas gestampft hatte. Er versuchte jetzt, ihn sich als
Menschen vorzustellen. Als Mann mit Ideen, voll Energie, den hebräischen Schriftstel-
ler, der irgendwie noch russischer Revolutionär sein musste. Der keine Arbeitsstunden
kennt, der zwanzig Stunden und länger im Büro sitzt, arbeitet, schreibt, schuftet …
72 Die globale Gesamtzahl der Juden zwischen 1900 und 1933 wird konstant auf ca. 15 Millionen ge-
schätzt.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355