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Der Anfang der Wandlung Israels 201
fuhr und habgierigen, abergläubischen spaniolischen Bettlern Geld dafür zahlte, dass sie
gnädigst von ihm neue Häuser als Geschenk annahmen.
Mit solchen Steinen baut Israel sein nationales Heim. Zu dieser Kolonie Ohel Mo-
sheh führte Harzwi den Genossen. »Es ist ein bisschen einsam hier«, meinte er ent-
schuldigend. Eldad wusste nicht, ob Harzwi das Viertel entschuldigen wolle, weil es so
einsam sei, oder sich selbst, der hier wohnte. »Es ist ein bisschen einsam, und die meis-
ten Arbeiter und Beamten wohnen drĂĽben in Zichron Mosheh83 oder bei der Alliance
Schule.84 Aber ich finde es dort zu lärmend, auch werden die Zisternen dort früher leer,
weil mehr Menschen in jedem Haus wohnen und Wasser brauchen, und die Zimmer
sind noch teurer.« Harzwi stockte, sah zur Seite, zum Sultans-Teich hinüber und sagte
mit einiger Überwindung : »Ich wohne bei einer Spaniolin, die hat eine Tochter – das
schönste Mädchen in ganz Jerusalem. Sie arbeitet bei der Regierung, du wirst sie se-
hen.«
Vor einem kleinen Haus aus halbbehauenen Steinen blieb er stehen. Der Weg vor
dem Häuschen war mit kleinen, runden Kieseln, der schmale Vorhof hinter der Um-
fassungsmauer mit größeren, flachen Steinen gepflastert, alle so sauber, als seien sie eben
mit Seife und BĂĽrste bearbeitet worden. Die Fugen zwischen den Mauersteinen waren
blau gekalkt und fleckenlos. Billige, weiße Baumwollvorhänge vor den Fenstern atmeten
Sehnsucht nach kleinbürgerlicher Ordnung. Eine Katze räkelte sich faul neben der Tür
und blinzelte mit gespielter Interesselosigkeit nach Eldad.
»Hier wohne ich«, sagte Harzwi und öffnete die Tür, an deren Pfosten ein spannen-
langer Messingrahmen den heiligen Pergamentstreifen mit den Geboten Gottes dem
Eintretenden als Bekenntnis entgegenhielt : »Hier wohnt ein Jude.« – »Andere Völker
hängen Fahnen aus ; die Juden heften an ihre Türe das Zeichen ihres Gottes ; es ist glei-
cher Geist angstvoller Selbstbejahung, der auf das Symbol nicht verzichtet, aus Furcht,
dann den Inhalt zu verlieren«, dachte Eldad und war stolz, keiner Symbole mehr zu
bedĂĽrfen.
Angenehm tiefer Schatten umfing ihn kĂĽhl, als er hinter Harzwi eintrat. Die fast
meterdicken, altertümlichen Steinwände hielten die Tageshitze besser ab als die neu-
eren Mauern des zionistischen BĂĽrohauses. Vom Schatten verwirrt, sah Eldad im ersten
Augenblick nicht, wer vor ihm stand. Er hörte nur den Steinbrucharbeiter sagen : »Das
ist Eldad Schu’al, der mit mir hier wohnen wird. Ich habe dir schon von ihm erzählt, als
ich aus Metulla zurückkam.« Dann hörte er eine tiefe, weiche Mädchenstimme seinen
Namen wiederholen und fühlte eine kühle, samtglatte Hand in der seinen, während
83 Zichron Mosheh : Viertel des ultraorthodoxen Stadtteils Haredi im Zentrum Jerusalems.
84 Alliance Schule (siehe Sachregister), S. 346.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355