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202 C. Wolfgang von Weisl
Harzwi mit etwas gepresster Stimme zu ihm sagte : »Das ist Geweret Hanna Asriel, von
der ich dir gesprochen habeÂ
– die Tochter unserer Hausfrau.«
Eldad zwinkerte mit den Augen, die anfingen, sich an das Dunkel zu gewöhnen. Er
sah Hanna Asriel, die vor ihm stand und ihm zunickte. Sie war schön, von jener Schön-
heit der orientalischen Mädchen, deren Haut weiß wie Marmor ist und kühl wie Mar-
mor auch im heiĂźesten Sommer bleibt und deren Haare von jenem Schwarz sind, das
an das dunkle Blau des Meeres erinnert. Hanna Asriel war nicht klein, aber zierlich, mit
schmalen Handgelenken und schmalen Fesseln. Aus tiefen, rätselhaften Augen blickte
sie ihn unter langen Wimpern an ; ihre Lippen, die vielleicht etwas zu voll waren, öffne-
ten sich zu einem sanften Lächeln, und das Mädchen wiederholte : »Eldad Schu’alÂ
– ich
freue mich, dass du zu uns kommst und bei uns wohnen wirst. Wir alle wissen, welcher
Held du bist. Wir lieben die Gefährten Trumpeldors.«
Eldads Ohr trank das reine, gepflegte Hebräisch Hannas wie Musik. Ihre Stimme
wirkte auf ihn wie Alkohol auf einen Durstigen. So muss Spanisch klingen, dachte er.
Und dann : Nein, das war unmöglich ; keine Sprache der Welt konnte so tönen wie die-
ses sanfte, klare und doch herbe Hebräisch im Munde dieses Mädchens. Erst jetzt, da
er diesen Gedanken zu Ende formte, nahm sein Hirn auf, wie schön die Spaniolin war.
Der Mann vergaß alles, was ihn den langen Tag über bedrückt hatte. Die hässliche
Stadt und das hässliche Büro. Die große Aufgabe und die kleinen Menschen. Er sah nur
die junge Tochter Zions, stolz, weiß, begehrenswert, ein Bild aus den königlichen Träu-
men des königlichen Sängers85 – und fühlte sich als ihresgleichen. Wie damals in der
Nacht unter dem Karubbaum erwachte jetzt in ihm wieder der Krieger. Die anerzogene
GleichgĂĽltigkeit des Slawen fiel von ihm ab. Alle Muskeln seines Leibes strafften sich.
Sein Kopf reckte sich höher, seine Lider öffneten sich weiter als sonst, aus großen Pu-
pillen strahlte seine Kraft wie ein Versprechen in die Augen des Mädchens. Eine ganz
kurze Zeit blieb er stummÂ
– aber während er schwieg und Hanna anstarrte, war ihm, als
rauschte Ewigkeit des Blutes in seinem Ohr.
Leicht neigte er seine Schultern vor, wie zum Sprung, wie zum Angriff, nahm wie-
der ihre Hand und sagte mit derselben ruhigen Geradheit, mit der er ins Lager Ibra-
him Begs gegangen war : »Ich freue mich, dass ich bei dir wohnen werde. Harzwi hat
mir gesagt, dass du das schönste Mädchen Jerusalems bist, aber ich glaube, du bist das
schönste Mädchen in unserem Land. Ich liebe Schönheit, und ich werde glücklich sein,
so oft ich dich sehen werde.«
85 Anspielung auf den Vergleich Eldads mit König David, dem leidenschaftlichen Sänger erotischer
Psalmen, die ihn zu hemmungslosem Tanz anstachelten ; der Vergleich kehrt beim Purimfest des
nächsten Jahres (1921) wieder (AWI 289).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355