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204 C. Wolfgang von Weisl
wird all eure Arbeit nichts sein, und ohne Sein Gesetz werdet ihr ausgespien werden
von eben diesem Land. Und deshalb versuche ich alte Frau, euch zu helfen, so gut ich es
kann, damit ihr zum Ziel kommt und nicht Gott erzĂĽrnt. Wenigstens in meinem Hause
will ich euch zwingen, den Sabbat zu halten, wenigstens versuchen will ich, euch die
Freude eines jüdischen Sabbats zu lehren, die größer ist als die Freude einer Zigarette.
Und so erfülle ich damit eine Pflicht und eine Wohltat.«
Verlegen und gelangweilt hörten die beiden jungen Männer zu. Wäre es das junge
Mädchen gewesen, die so über Gott gesprochen hätte – wie eifrig hätten die beiden
versucht, ihr zu beweisen, dass der Sabbat nichts sei als ein nicht unkluger Versuch frĂĽh-
sozialistischen Arbeiterschutzes und dass Gott eine Erfindung kranker Narren oder
schlauer Betrüger sei, an den nur unwissende Dummköpfe glauben. Dieser alten Frau
gegenüber aber gab es keine Erörterungen. Sie glaubte nämlich nicht an Gott, denn sie
kannte ihn. Sie wusste, was ihr GlĂĽck gab.
Als sich die TĂĽr hinter Frau Asriel geschlossen hatte und Harzwi in die KĂĽche ge-
gangen war, um Tee und Eier aus dem Petroleumbrenner zu bereiten, fiel wieder tiefe
Mutlosigkeit über Eldad. Die Kazprins auf der einen Seite, die reaktionären jüdischen
Massen auf der anderen, und beiden feindlich gegenüber die Araber und Engländer,
fest entschlossen, die Juden nie zu Herren im Lande werden zu lassen – was konnte er,
Eldad, der Einzelne, ohne Freunde, ohne Geld ausrichten ?
Er biss die Zähne zusammen, dass sie schmerzten. En dawar. Er war jung und hatte
Zeit. Nichts gibt es, was ein Mensch nicht erreichen kann, wenn er jung genug anfängt,
wiederholte er sich grimmig. »Ich bin jung – jung !«, rief er halblaut und sein Blick fiel
auf den kleinen Rasierspiegel Harzwis an der Wand. Er sah hinein, sah sich, und ihm
war, als sähe er zugleich wie sein zweites Selbst im Spiegelglas das Bild des schönen
Mädchens, das auch so lange, blauschwarze Locken hatte wie er, und auch so tiefe träu-
mende Augen.
* * *
»Ein netter, junger Mann, ein sehr netter, junger Mann – aber nichts für dich, Hanna«,
wiederholte die alte Asriel zum zehnten Male ihrer Tochter. Hanna saĂź am breiten KĂĽ-
chentisch neben ihr, tat, als ob sie nicht zuhöre, und las beim matten Licht der Pe-
troleumlampe die Wochenausgabe des »Manchester Guardian«86, wie es die meisten
jüdischen Sekretärinnen im Regierungsdienst taten, die ihren Vorgesetzten imponie-
ren wollten. Die niederen britischen Beamten der Palästinaverwaltung waren damals
nämlich in ihrer Mehrzahl demobilisierte Unteroffiziere oder Kolonialbeamte fünfter
86 »Manchester Guardian« : 1821 in Manchester gegründete linksliberale Tageszeitung.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355