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Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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206 C. Wolfgang von Weisl steht, weiß ich nicht. Aber wenn anderes darin steht, als ich dir jetzt sage, ist es falsch, verlogen und töricht. Ein anständiges Mädchen darf nicht wissen, was Liebe ist  – sie darf nicht. Sie muss heiraten und muss überzeugt sein, dass dann die Liebe von selbst kommt  – die Liebe zum Mann, zu den Kindern, zum Heim. Eine sanfte, warme, ruhige Liebe, die immer stärker und immer größer wird mit jedem neuen Jahr, so wie die Dat- telpalme klein anfängt und mit jedem Jahr immer höher wächst.« Frau Asriel schwieg, dachte nach, wie das, was sie noch zu sagen hatte, für ein jung- fräuliches Ohr schicklich umschrieben werden könnte. Sie dämpfte ihre Stimme : »Es gibt noch eine andere Liebe. Ich kenne sie, auch wenn ich nicht Romane lese wie du. Ich sehe sie bei den russischen und deutschen Juden, die mit neuen Gedanken her- kommen und wie die Franken leben. Da geht die Liebe rasch auf, sie wächst über Nacht gewaltig wie der Rizinusstrauch, wie ein Kikayon  – und sie verwelkt dann in der Ehe ebenso schnell wie der Rizinus es tut im Hauch des Ostwindes. Jedes Jahr, das kommt, nimmt von ihrer Blüte etwas weg, mit jedem Jahr wird die Liebe dünner, bleicher, schwächer. Und dann ist sie auf einmal tot. Das Leben wird zur Hölle. Die Frau hasst den Mann, den sie gestern geliebt hat, und der Mann betrügt sie mit anderen Weibern und stürzt dann seine Frau in die Sünde, und auch sie bricht die Ehe, und der Zorn Gottes kommt über beide und über ganz Israel. Das habe ich gesehen, oft gesehen, im- mer gesehen bei den Dummköpfen, die glauben, dass man zuerst lieben kann und dann heiraten. Als ob Liebe etwas mit Heirat zu tun hätte.« Sie hielt inne. Ihre klugen Augen hatten während der ganzen Zeit das junge Mäd- chen festgehalten ; jetzt wendete sie sich ab und nahm den Strickstrumpf wieder auf : »Und deshalb will ich nicht, dass du mit dem jungen Eldad beisammen bist. Er wird dich nicht heiraten. Er ist kein Mann zum Heiraten. Und du wirst unglücklich sein.« Hanna senkte den Kopf, so dass ihr Gesicht in den Schatten fiel und das Licht der Lampe sich im glatten Blau ihrer Haare spiegelte. Sie war trotz ihrer auf »Bildung« eingestellten Erziehung in der englischen Evelina de Rothschild Mädchenschule nicht europäisch genug, um verbildet zu sein, und sie verstand deshalb die tiefe Weisheit in den Worten ihrer alten Mutter. Wie von einem Blitz erhellt sah sie auf einmal das Leben ihrer Eltern, ehe der Vater gestorben war  – sah den tiefen Frieden in aller Ärmlichkeit des Rabbinerhauses, sah die innere Ruhe des Vaters, auch wenn die vielen Kinder lärmten und schrien und wenn die Mutter keifend mit dem Fellachen an der Tür zankte, weil er einen Heller mehr für das Sabbathuhn verlangte, als nach Meinung der Mutter gerecht war. Sah das Glück, das hier geherrscht hatte, wo man nur Gott dienen wollte, und sah die Ehen der Euro- päer, die dem Glück nachjagten. Und erschrak. Ja. Dort war die Hölle. Ihre Mutter hatte Recht. Die alte Frau, die nicht lesen und nicht schreiben konnte, ist klüger als diese Menschen, dachte sie in dumpfer Dankbarkeit und in dumpfer Angst. Dennoch  … Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
Title
Wolfgang von Weisl
Subtitle
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Editor
Dietmar Goltschnigg
Publisher
Böhlau Verlag
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21056-6
Size
17.4 x 24.5 cm
Pages
362
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 7
  2. AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
  3. A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
  4. Erlöser 13
  5. EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
  6. Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
  7. Der Anfang der Wandlung Israels 28
  8. B. Wolfgang von Weisl 51
  9. Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
  10. C. Wolfgang von Weisl 143
  11. Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
  12. D. Anhang 335
  13. 1. Zeittafel 335
  14. 2. Biographische Daten 341
  15. 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
  16. 4. Bibliographie 353
  17. 5. Personenregister 355
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