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212 C. Wolfgang von Weisl
Ruhe und Gelassenheit schienen ihm schön und edel, während die bewegliche Intimität
des Juden und des Slawen, die kein Geheimnis respektierten, ihn abstieß. Den Englän-
dern ähnlich zu werden, war fĂĽr ihn mehr als ein Ziel persönlicher AssimilationÂ
– seiner
Meinung nach wäre es eine nationale Aufgabe gewesen, die ganze jüdische Jugend Pa-
lästinas nach diesem Vorbild zu erziehen. Aber mehr als dies alles wirkte etwas anderes :
Er liebte Hanna. Liebte sie besinnungslos vom ersten Tag an, da er ihr im Gesundheits-
amt begegnet war, und er wollte ihr gefallen.
Er sah das sephardische Mädchen tagaus tagein in Gesellschaft englischer Beamter,
wusste, dass sie englische Bücher, englische Zeitungen las – und schloss von sich selbst
auf sie. Wenn ihm die Engländer so gut gefielen, ihm, dem Mann, um wie viel mehr
mussten sie auf die junge JĂĽdin Eindruck machen, die zu Hause nur Armut und Klein-
heit kannte und die hier im Office britische Luft atmete. In ihren Augen wollte er gar
nicht geringer sein als die Briten. Ihr wollte er gefallen, wenn er in blauer Jacke und
grauen Flanellhosen in das Amt kam. Ihr, wenn er im Bristol Garden Whisky bestellte
statt der Zitronenlimonade. Und jetzt verhöhnte sie ihn, hasste ihn vielleicht.
Gutkowski hascht nach der Hand Hannas, die das Mädchen ihm ruhig entzog, als
hätte sie seinen Versuch nicht bemerkt. »Ich wollte Ihnen etwas anderes sagen, Hanna,
etwas anderes. Der junge Mann da, mit dem Sie gehen …«
»Ich gehe mit keinem jungen Mann, Doktor Gutkowski«, sagte Hanna, »reden Sie
nicht mehr davon, sonst werde ich Ihnen zürnen.«
»Ich meine, der junge Mann, der Sie seit längerer Zeit bis zum Tor des Office be-
gleitet – durch Zufall sprach ich mit einem Herrn aus der Zionistischen Kommission
ĂĽber ihnÂ
–, ich schwöre Ihnen, nur durch Zufall. Ich wollte Ihnen sagen, was man in der
Zionistischen Kommission von ihm denkt.«
Hanna hatte die Tür bereits geöffnet. Jetzt, die Türklinke in der Hand, wandte sie
sich um : »Es interessiert mich nicht, was man über ihn denkt, Doktor. Ich habe meine
eigenen Ansichten über Menschen, denen ich gestatte, mich zu begleiten. Aber – es
kann für Eldad Schu’al nützlich sein, wenn ich weiß, was über ihn geredet wird. Ich
höre Ihnen zu.«
Doktor Gutkowski wurde noch einen Schatten bleicher. Sein Herz tat ihm weh, als
hätte er es überanstrengt. Ihm war, als hingen Glück und Unglück – als hinge seine
ganze Zukunft davon ab, wie Hanna Asriel jetzt seine Worte aufnehmen wĂĽrde ; er
musste sie retten, musste sie warnen, er durfte sie nicht ins UnglĂĽck rennen lassen.
»Herr Schu’al ist ein Abenteurer. Kazprin behält ihn nur, weil der Mann besondere
Protektion hat, aber es ist trotzdem sicher, dass er bei der ersten Gelegenheit entlassen
wird. In der Zionistischen Kommission halten ihn die meisten seiner Kollegen fĂĽr einen
gefährlichen Menschen. Er gibt sich für einen russischen Leutnant aus, obwohl jeder
weiß, dass in Russland Juden nicht Offiziere werden konnten. Er lässt von sich erzählen,
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355