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Der Anfang der Wandlung Israels 215
Hanna erschrak. Es tat ihr leid, dass sie nicht diese Erklärung hatte verhindern kön-
nen. Sie wollte den Arzt nicht kränken und seine Freundschaft nicht verlieren. Er war
ein braver, anständiger Mensch, der sicherlich, wie die meisten Litauer, als Gatte seine
künftige Frau auf Händen tragen würde. Ein Beamter, den seine Kollegen nie Aben-
teurer schimpfen, der nie den Colonel Antimon böse machen würde. An seiner Seite
würde Hanna ruhig und sorglos leben können, wie ihre Mutter es für sie wünschte. Aber
heiraten, ihn heiraten … ? Nein !
Sie nahm die Hand Gutkowskis zwischen ihre kühlen, schlanken Finger und drückte
sie einen Augenblick lang herzlich : »Sie haben mir eine große Freude bereitet, dass Sie
so zu mir sprachen, und noch mehr, dass Sie jetzt keine Entscheidung von mir verlang-
ten. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen jemals die Antwort geben werde, die Sie wünschen.
Aber ich verspreche Ihnen eines : Wenn ich Ihnen einmal »Ja« werde sagen können,
dann werde ich ungefragt zu Ihnen kommen und es sagen.«
Sie ging in ihr Zimmer, las mechanisch den Brief an Doktor Hamber wieder durch,
den sie morgen abgeben sollte. Es war ein Ultimatum : Wenn Doktor Hamber das jü-
dische Pasteur-Institut nicht der Regierung übergibt, dann wird eine Regierungsanstalt
zum Kampf gegen die Tollwut errichtet werden. Ein neuer Schachzug des Obersten
Antimon, um die Juden auch aus dieser Position in der arabischen Gesellschaft hin-
auszudrängen. Englische Ärzte und ausschließlich englische Ärzte sollten die Araber
gegen die Tollwut verteidigen dürfen.
Hanna seufzte. Schwer war das Leben in Palästina. Schwer … Sie nahm Hut und
Schleier und ging nach Hause. An der Ecke der Jaffastraße, beim armenischen Restau-
rant, würde Eldad vielleicht warten – das heißt, wenn er ausnahmsweise wirklich bei
Büroschluss nach Hause ging.
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E ldad wartete nicht an der Ecke beim Armenier. Hanna unterdrückte die
Ver-suchung,
beim Krämer nebenan stehen zu bleiben und so lange um ein Rottel93
Weintrauben zu feilschen, bis es sicher wäre, dass ihr Freund nicht mehr käme. Aber das
Wetter war nicht einladend genug. Es war schon Spätherbst, die ersten Regenschauer
hatten den Staub von den Dächern und den Höfen geschwemmt, während Hanna im
Office gearbeitet hatte, und nun fegten scharfe, kurze Windstöße durch die Straße und
kündeten neuen Regen an, der in schweren, schwarzen Wolkenhaufen langsam die
ewige Heerstraße vom Mittelmeer her über das Gebirge Juda heraufsegelte, auf seinem
93 Rottel : arabisches Gewichtsmaß, ca. ein halbes kg.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355