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218 C. Wolfgang von Weisl
schaffen wollte.99 Harzwi nahm diese Arbeit ernst ; sein »herrschaftsloser Anarchismus«
war in ihm nichts anderes als verzehrendes GerechtigkeitsbedĂĽrfnis, das zur Beruhigung
seines Gewissens gegen die offenbaren Unzulänglichkeiten derselben sozialistischen
Parteimaschine revoltierte, der er zugleich treu ergeben diente. Diesen Zwiespalt zwi-
schen Anarchismus der Theorie und Gewerkschaftsarbeit des Alltags löste er für sich in
befriedigender Weise. Er erklärte jedem, der es hören wollte : Derzeit ist, leider, die Welt
im Allgemeinen und Palästina im Besonderen nicht reif für die wahre Gerechtigkeit des
Anarchismus, fĂĽr die wahre Freiheit. Nur Israel wird diese reine Lehre der Welt geben
können. So wie seine erste Offenbarung zwei Jahrtausende lang die Zivilisation be-
herrscht hat, so wird die neue Offenbarung es für die nächsten Geschlechter tun. Aber
um seinen Geist entfalten zu können, muss das Volk erst zurückgekehrt sein ins eigene
Land, muss leben können, ohne Tag und Nacht durch fremde, ungerechte, unverstän-
dige EinflĂĽsse vergiftet zu werden. Und deshalb muss der Zionismus zuerst das Volk
heimfĂĽhren, muss zuerst die Arbeiterpartei die Massen des Proletariats auf dem Land
ansiedeln, sie zu aufrechten, gesunden, naturnahen Menschen machenÂ
– erst dann wird
die Erlösung von selbst aus der Mitte dieses Volkes kommen. Hoffentlich wird es im-
mer zu schwach sein, um durch Besitz faul und eigensĂĽchtig zu werden, und zu stark,
um aus Feigheit und Schwäche sich dem Diktat fremden Geistes und Willens zu fügen.
So dachte, so hoffte Harzwi. Und unterdessen mĂĽhte er sich fĂĽr die zweinationale
Arbeitergewerkschaft ab : »Die Araber, die mit uns zusammenarbeiten, sind seit einigen
Tagen verwandelt. Feindselig, lachen uns aus, wenn wir von ihrer Pflicht sprechen, sich
mit uns gemeinsam zu organisieren. ›Ihr wollt uns nur betrügen‹, sagen sie. ›Mit jedem
Schiff bringt ihr Hunderte neuer Einwanderer herĂĽber, die wollen uns Land und Arbeit
wegnehmen.‹ Seit in den letzten sechs, sieben Monaten ein paar tausend Juden ins Land
kamen, haben sie Angst. Man erzählt ihnen, dass Hunderttausende kommen werden,
und sie glauben es. Sie fürchten sich vor uns.«
Barzeew seufzte, strich bedächtig über das glatt rasierte Gesicht, das viel älter aus-
sah als sein Körper. »Das ist das Schlimmste, Kameraden. Das ist das Schlimmste in
Palästina. Judenfeindschaft hier und Judenfeindschaft drĂĽben in EuropaÂ
– ihr könnt das
nicht vergleichen. Dort drüben erzählen die Antisemiten alles Mögliche über uns. Dass
wir die Welt regieren, die Börse und die Presse, dass wir mit Jesuiten und Freimaurern
und Kommunisten verbündet sind – aber auch wenn sie für Sekunden wirklich daran
99 Die revolutionäre Einheit von Juden und Arabern durch einen Zusammenschluss der Jüdischen
Kommunistischen Partei (JKP), der Palästinensischen Kommunistischen Partei (PKP) und der
Kommunistischen Partei Palästinas (KPP) gegen Kapitalisten und Imperialisten in aller Welt blieb
ein realitätsferner Mythos (vgl. Michael Wolffsohn : Politik in Israel. Entwicklung und Struktur des
politischen Systems [1983]. Wiesbaden : Springer 2013, S.Â
48Â
ff.).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355