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224 C. Wolfgang von Weisl
wiederkehrten : »Hanna«, die hebräische Bezeichnung für »Gnade«, war das eine, und
»Ruhe« das andere.
Ruhe. Alles an ihr strömte Ruhe aus. Hanna brauchte nicht um Anerkennung ihrer
Eigenart zu kämpfen, denn sie war ganz Weib und deshalb ganz echt. Und darum liebte
er sie mit der ganzen leidenschaftlichen Hingabe des zum Kämpfen geborenen Mannes,
der zum ersten Mal voll Seligkeit seine undurchdringliche RĂĽstung ablegen darf, weil
er keinen Widerstand und keine Herrschsucht findet, die zum Kampfe herausfordern.
Fast ehrfĂĽrchtig fĂĽhlte er den tiefen Unterschied zwischen seinem Wesen, seiner Art zu
denken und zu handeln, und der Hannas, und fĂĽhlte, dass dies gut war und gerade so
sein musste. Hanna sollte anders sein als er. Er blieb in sich stark und seiner sicher, und
Hanna blieb anders und blieb vollkommen.
Vollkommen ! Das war das Wort, das er gesucht hatte. Jetzt fiel es ihm ein. Jetzt, da
er neben ihr saĂź und nach beendeter Arbeit ĂĽber Dinge sprach, die kurz vorher noch
so wichtig geschienen hatten – Solel Boneh und die englische Orient-Politik und der
morgige Besuch im Pasteur-InstitutÂ
–, jetzt wusste er, sie verstand ihn besser als er sich
selbst. Sie dachte mit dem Herzen, aber dachte. Er handelte aus Triebsicherheit heraus,
aber die GrĂĽnde dafĂĽr suchte er mit dem Gehirn.
Eigentlich wollte er mit ihr über die Unruhe unter den Arabern sprechen und hören,
was die Engländer im Sanitätsdepartment darüber reden, aber er unterließ es. Hanna
war vollkommen, sicherlich, aber es gibt Dinge, ĂĽber die man nicht einmal mit dem
wundervollsten Mädchen spricht, ehe es nicht hundertmal erprobt ist. Er liebte Hanna,
er hätte für sie sein Leben hingegeben – aber was war das schon für ihn, das Leben ?
Schön nur deshalb, weil man es verschenken kann, wann immer man will. Aber erprobt
war Hanna nicht. Erprobt – mutig, schweigsam, opferwillig, fanatisch –, war sie das ?
Und deshalb erzählte er ihr nichts von dem, was er mit Harzwi, Steinberg und Barzeew
beredet hatte. Er sprach lieber vom Solel Boneh, der großen Schöpfung Kazprins.
Es war jetzt so weit, berichtete er zufrieden. Die beiden Arbeiterparteien PalästinasÂ
–
Sozialdemokraten und Freisozialisten107 –, die sich bisher befehdeten, würden in der
Frage der Solel Boneh eine gemeinsame Front bilden und dadurch alles durchsetzen.
Die antisozialistischen Amerikaner werden nichts gegen sie ausrichten, denn der ehr-
geizige Weizmann wird die Arbeiter unterstützen, während die Sozialisten als Gegen-
leistung gegen den Amerikaner Brandeis stimmen und Weizmann zum Präsidenten
der Organisation wählen werden.108 Das sei abgemacht. Weizmann wird in London
regieren und Kazprin in Jerusalem. Er aber, Eldad, würde im Solel-Boneh eine schöne,
große Arbeit haben, denn Kazprin habe sich scheinbar an ihn gewöhnt, und jetzt, wo
107 Zwei Arbeiterparteien Palästinas (Anm. 53).
108 1921 wurde Weizmann zum Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation (WZO) gewählt.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355