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Der Anfang der Wandlung Israels 247
das jüdische Land. Morgen wird er anfangen. Morgen. Aber nicht heute.
– Heute wird
er zuerst Hanna sehen. Hanna. Im Büro wird er nur so lange bleiben, bis er die drin-
gendste Post erledigt haben wird. Hanna …
Als Eldad in das Amt kommt, erfährt er, Kazprin sei noch nicht zurückgekehrt. Er
freut sich, weil er dadurch den Abend für Hanna frei hat. Zum ersten Mal, seit er in der
Zionistischen Kommission arbeitet, hält er die Bürostunden ein und verlässt das Haus
bereits mit dem letzten Glockenschlag. Er braucht heute Hanna, braucht sie mehr als je
zuvor. Allein und einsam fühlt er sich dieser Arbeit gegenüber, die er auf sich nehmen
will – schwach fühlt er sich vor dem neuen Plan der Masseneinwanderung, den er, er,
ausarbeiten muss, soll der Kampf um das Heilige Land nicht hoffnungslose Torheit
bleiben. Hanna wird ihm helfen. Mit ihrem klaren Frauenverstand wird sie ihm beiste-
hen, wenn sein Herz sich verwirrt, wird ihm Mut machen, wenn sein Herz müde wird.
Er braucht sie, die Kameradin.
Er kommt nach Hause. Ohne anzuklopfen, tritt er in die Küche, trifft Hanna allein,
eine Stickerei in der Hand, wie sie sephardische Frauen lieben. Hanna erbleichte, als er
eintrat. Sie war entschlossen, der Mutter zu gehorchen, wenn er seinen Antrag wieder-
holen würde. Die vier Tage Alleinseins, während Eldad in Jaffa war, vier Tage ohne eine
Zeile von seiner Hand, hatten sie ernüchtert. »Er ist kein Mann für mich«, hatte sie sich
immer wiederholt, solange bis sie es glaubte.
Als er jetzt plötzlich die Tür öffnete, mit fliegendem Atem und fliegenden Haaren,
war sie vorbereitet, ihm kühl entgegenzutreten. Aber Eldad, der die vier Tage lang nicht
einen Augenblick an die Möglichkeit gedacht hatte, Hanna könne ihn zurückweisen,
ließ ihr keine Zeit dazu. Mit zwei großen Schritten war er um den Küchentisch he-
rum, fasste Hanna um die Schultern, beugte ihren Kopf zurück und küsste sie auf den
Mund. Küsste sie mit der ganzen Glut eines Mannes, der sich in seiner Seele soeben
zum Kampf gegen eine Welt entschlossen hat und der glücklich ist, alles was in ihm an
Liebe ist, einem einzigen Menschen, einer einzigen Frau schenken zu können.
Eisern hielt er seinen Arm um Hanna, deren Mund unter seinen Küssen schmerzte.
Taumelnd stützte sich das Mädchen gegen den Tisch, trunken, schwindlig von dem
Rausch seines Atems. Endlich hob Eldad für einen Augenblick seine Lippen von ihrem
Gesicht weg, sah sie selig, lächelnd, liebevoll an : »Ja, Hanna ?«, fragte er.
»Ja, Eldad«, antwortete sie. »Ja. Ich will deine Frau werden.«
Über den Bergen Judas ging die Sonne unter. Im kleinen Zimmer in Ohel Mosheh
wurde es dunkel. Aber Eldad und Hanna standen noch immer, eng umschlungen an-
einander gepresst, und tranken die Süße ihrer Lippen.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355