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258 C. Wolfgang von Weisl
Plänen, die er, der kleine, junge Sekretär, ausarbeitete, weil niemand anderer sich darum
kümmerte. Pläne für die Einwanderung und Ansiedlung von Hunderttausenden, von
Millionen. Für eine Kolonisation, die besser und billiger sein muss als die zionistische.
Er, Eldad, muss es machen, weil niemand anderer es machen will.
Und hatte er lange genug gesprochen, dann riss er plötzlich das Mädchen an sich
und küsste sie lange und innig. Aber auch seine Küsse waren schwermütig, so als seien
nur seine Lippen bei Hanna, aber nicht seine Seele. »Ich weiß schon, Eldad«, sagte ihm
Hanna einmal – »ich weiß schon. Zuerst kommt das Volk, und dann das Land – und
wenn du gerade nichts anderes zu tun hast, denkst du auch an mich. Küssest mich.«
»Warte noch eine Woche, zwei Wochen«, hatte da Eldad gebeten. »Bis mein Memo-
randum fertig ist.«139
Und Hanna wartete. Saß still und schweigend neben Eldad, der Abend für Abend
in der kleinen Küche vor Tabellen saß, Ziffern verglich, schrieb, rechnete, bis selbst die
alte Frau Asriel zu Hanna sagte : »Möglich, dass ich mich geirrt habe, dass er wirklich
ein Beamter wird. Er ist wenigstens fleißig und strebsam. Vielleicht wird doch ein guter
Hausvater aus ihm.«
Eldad aber dachte in diesem Augenblick an anderes als an seine künftige Rolle als
Hausvater. Er dachte an die noch immer nur so geringen Zahlen von Neueinwanderern,
die in dem Immigrantenheim von Jaffa warteten, bis man für sie Arbeit gefunden hätte
–
und für die, so wenig ihrer auch waren, bereits die Geldmittel fehlten. Er dachte voll
Sorgen an die noch immer nur so winzig kleine Zahl ehemaliger Offiziere des Welt-
kriegs, die für die Vorbereitung der Selbstwehr zur Verfügung standen. Er überlegte, wie
und wo man die Freiwilligen unterbringen könne, damit sie zumindest einige Gelände-
übungen mit der Waffe machen könnten, ohne dass die arabische Polizei aufmerksam
wurde. Er dachte daran, dass es fast keinen Stacheldraht in den Dörfern gab und dass
für Schusswaffen von dreißig verschiedenen Modellen die Munition mangele und nicht
ersetzt werden könne und dass die Wege zwischen den einzelnen Dörfern so jämmer-
lich schlecht sind und dass die Telefonverbindungen fehlen und dass er die ganze Ver-
antwortung trage … die ganze. Weil niemand anderer sie so tief fühle wie er.
Eldad war wie besessen von dieser quälenden Vorstellung. Solange die Juden Paläs-
tinas in solcher Minderheit blieben, solange blieb ihre Lage die gleiche wie in Polen, in
Rumänien oder in den Höllen von Jemen oder Persien. Ob ein Jude auf hundertzwanzig
kommt wie in Deutschland oder auf neun wie in Palästina
– Minderheit ist Minderheit,
fühlte Eldad, und Minderheit ist ewige Gefahr.
139 Memorandum, wie es auch WvW verfasst und dem Agrarexperten Ussishkin (siehe biographische
Daten, S.
345 f.) übergeben hat (vgl. LWV 235).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355