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260 C. Wolfgang von Weisl
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Kazprin schüttelte unzufrieden den Kopf, während er die Schrift Eldads aufmerksam
las. Da und dort hakte er mit Rotstift wĂĽtende Ausrufungszeichen an den Rand. Mit
gerunzelter Nase, schnĂĽffelnd, ĂĽberflog er die letzten Seiten, in denen Eldads Vor-
schläge nochmals zusammengefasst waren, und legte dann das Manuskript so vorsichtig
zur Seite, als erwarte er, es im nächsten Augenblick zu Zunder zerfallen zu sehen : »Ich
bin erstaunt, Adon Schu’al, ich bin aufrichtig erstaunt über Ihre Ansichten«, sagte er
trocken, und die besondere Höflichkeit, mit der er ganz gegen die Gewohnheit betonter
Kameradschaftlichkeit in der Zionistischen Bürokratie seinen Sekretär plötzlich mit
dem Titel »Adon«, »Herr«, und in der förmlichen, dem hebräischen Sprachgeist frem-
den dritten Person ansprach, war bereits schneidende Kritik an Eldads Plan, war bereits
Verurteilung.
»Ich bin erstaunt und überrascht«, wiederholte Kazprin. »Nach so vielen Monaten
Arbeit in der Zionistischen KommissionÂ
– guter tĂĽchtiger Arbeit, ich gestehe esÂ
– kom-
men sie mit solchen wahnsinnigen Vorschlägen ! Masseneinwanderung verlangen Sie !
Masseneinwanderung sollen wir organisieren, ohne zuerst die Juden seelisch zu erziehen,
ohne sie beruflich umzuschichten in den Ländern der Diaspora ! Wir sollen sie ein-
fach, so wie sie sind, nach Palästina lassen ! Jeden Juden, der will, sollen wir hereinlassen,
auch den Hausierer und Spekulanten und Krämer aus der Nalewki und der Grenadier-
straße !140 Ist das Ihr Ernst ?«
Eldad wurde langsam rot ; er fühlte, wie Ärger über diese wegwerfende Urteilsweise
ihm ins Blut trat, und er ballte die Fäuste, um sich zur Ruhe zu zwingen. Er wusste,
welche Macht der kleine Mann da vor ihm hatte. Alle zionistischen Schreiber und alle
zionistischen Polizeibeamten und Propagandisten lobten oder tadelten, applaudierten
oder zischten auf das Geheiß dieses eigentlich unwichtigen »Leiters des Arbeitsdepart-
ments« der Zionistischen Kommission, weil er über die Besetzung aller Beamtenposten
in Palästina und Europa entscheidet, weil er durch seine Partei die Sekretariate der zio-
nistischen Fonds und Ämter beherrschte. Eldad durfte es sich nicht mit Kazprin ver-
derbenÂ
– er musste versuchen, ihn zu gewinnen. Daher schwieg er, während Kazprin, der
die aufsteigende Röte Eldads als Verlegenheit deutete, etwas besänftigt wieder anfing :
»Nehmen Sie das Zeug da weg, Schu’al ; verbrennen Sie den Unsinn ! Ich will vergessen,
was Sie fĂĽr komische Ideen haben. Sie sind doch Sozialist, Eldad ! Mitglied der Hista-
drut/Haowdim, der Arbeitergewerkschaft, nicht wahr ? Und da willst du, ein Genosse,
unser Land mit antisozialistischen Elementen ĂĽberschwemmen, die uns majorisieren
würden ! Händler und Krämer willst du hereinbringen ? … Aber reden wir nicht mehr
140 Nalewki und GrenadierstraĂźe (siehe Sachregister, S.Â
351, 348).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355