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264 C. Wolfgang von Weisl
wenn sie wirklich in Massen einwandern, he ? Wovon sollen sie denn leben ?« Kazprin
war aufgesprungen. Die Hände auf den Schreibtisch gestützt, fauchte er seinen Gegner
an : »Antworten Sie ! Wovon ?«
»Wovon leben die Massen heute in Polen, Litauen, Rumänien, Sowjetrussland ?«,
antwortete Eldad mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Glauben Sie, dass es Men-
schen schlechter gehen kann, als es den Juden heute im Jemen oder in Persien geht ?
Dass es ihnen in Palästina schlimmer gehen kann, als es ihnen morgen in der Ukraine
oder in Polen ergehen wird ? Unsere Leute werden herkommen, mit Geld oder ohne
Geld, sie werden Häuser bauen und anderen Juden Arbeit geben, sie werden Handel
treiben oder Industrien einrichten ; die, denen es glückt, werden andere nach sich zie-
hen ; wem es missglückt, der wird hier sein Geld aufessen, schließlich zugrunde gehen,
wie er anderswo auch zugrunde gegangen wäre.«
»Jawohl ! Zugrundegehen werden sie, deine Kleinbürger, die Leute deiner Massen-
einwanderung, zugrunde gehen !«, brüllte Kazprin leidenschaftlich. Er wurde blass vor
Wut. Hass erstickte ihn beim bloßen Wort ›Bürger‹. Es rührte an tiefste Schichten sei-
nes Jugenderlebens : Kazprin stammte aus einem kleinen Städtchen an der rumänisch-
russischen Grenze, war selbst ein Kind des jüdischen Kleinbürgertums, aufgewachsen
in einem fanatisch-religiösen Haus, einer fanatisch-religiösen Welt. Dass er die Kraft
gehabt hatte, sich aus ihr zu befreien, war ihm in seiner Jugend als gewaltige Leistung,
als bewundernswerte Kulturtat erschienen. Kampf gegen das Bürgertum seiner Eltern,
gegen die Orthodoxie seiner Jugendwelt erschien ihm seither als wichtigster Sinn seines
Sozialismus. Dass gerade Eldad, als Sohn eines restlos russisch-assimilierten Intellek-
tuellen ohne jede jüdische Bindung aufgewachsen, an das Palästina-Problem ohne feste
Prinzipien herantrat und bereit schien, sich selbst mit dem reaktionären Kleinbürger-
tum zu verbünden, um nur rascher politische Erfolge zu erzielen, erregte Kazprin bis
zur Raserei. Diese bürgerliche Welt bekämpfte er mit der ganzen Wut des Abtrünnigen.
Er war entschlossen, Eldad lieber zu zerschmettern, als ihm die Möglichkeit zu geben,
auch nur einen Finger zugunsten der Einwanderung von Reaktionären zu rühren. »Zu-
grunde gehen werden deine Kleinbürger in Palästina, verhungern werden sie hier und
was dann ?«, schrie er immer wieder.
Eiskalt antwortete Eldad : »Mögen sie zugrunde gehen ! Besser, sie gehen in Palästina
zugrunde als in Europa, besser, sie haben vorher jüdischen sozialistischen Arbeitern hier
Brot gegeben als dort die »Schwarzen Hundert« oder die »Roten Hundert«142 mit ihrem
Vermögen gefüttert. Aber ehe die Kleinbürger hier zugrunde gehen, werden sie uns stär-
ker machen, uns Sicherheit vor Pogromen geben, uns politische Macht verschaffen und
damit die Möglichkeit, hier in Ruhe und Sicherheit zu bauen. ›Langsam aber sicher‹,
142 Schwarze Hundert (Anm. 103), Rote Hundert : Bolschewiki.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355