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Der Anfang der Wandlung Israels 267
oder wenn die Engländer wider Erwarten sich für uns und unsere Interessen schlagen
sollten, dann haben wir doch nichts verloren. Dann ist es nur gut, wenn wir stärker sind,
als wir unbedingt hätten sein müssen. Wenn aber Sie sich irren – wenn die Araber an-
greifen und uns schwach und ungenügend ausgerüstet finden, oder wenn die Engländer
uns nicht oder nicht genĂĽgend verteidigen, dann kann alles, alles zugrunde gehen. Mein
Weg ist ohne Risiko, Ihr Weg ist leichtsinnig.«
Noch hatte Eldad nicht ausgesprochen, als er schon bereute, von Leichtsinn gespro-
chen zu haben. Kazprin vertrug keine Kritik, wie die meisten Sozialisten, die durch
Kritik an ihren Gegnern zu Erfolg gekommen waren. Die Antwort des Chefs lieĂź nicht
lange auf sich warten. »Was erlauben Sie sich ? Sie junger, unerfahrener Mensch reden
von Leichtsinn ? Wissen Sie, was Leichtsinn ist ? Ihr Vorschlag ist Leichtsinn, der Men-
schen ins Land bringen will, ehe noch der Boden da ist, auf dem sie siedeln sollen. Ein-
wanderung ohne Boden ist Leichtsinn. Den Boden kauft der Nationalfonds. Der Na-
tionalfonds hat heute kaum Boden fĂĽr 300 Familien, und Sie wollen Hunderttausende
herbringen. Der Nationalfonds muss erst seine Einnahmen auf das Zehnfache steigern,
ehe wir die Einwanderung auf das Zehnfache steigern können. Gehen Sie Geld sam-
meln, viel Geld, noch mehr Geld, ehe sie kritisieren und von Leichtsinn sprechen. Mit
mehr Geld kauft man mehr Boden. Je mehr Boden da ist, desto mehr Einwanderer
können kommen. Das ist gesunde Vernunft. Alles andere ist Leichtsinn und Plapperei.«
Eldad versuchte noch einmal, den Leiter des BĂĽros zu gewinnen, von dem mehr als
seine eigene Zukunft, von dem in diesem Augenblick die Zukunft des Volkes und des
Landes abhing. »Ich weiß das alles, Herr Kazprin. Ich habe darauf im Kapitel ›Finanzen
und Finanzierung‹ geantwortet.« Mit vor Aufregung zitternden Händen schlug er die
Seiten des Memorandums auf und zeigte auf die Ziffern, während Kazprin verächtlich
wegblickte. »Hier. Ich stellte zusammen, wie viel Geld der Nationalfonds in den letzten
Jahren bekommen hat. Ich zeigte, dass 45Â
% davon fĂĽr Spesen aufgehen. Ich zeigte, dass
in diesem Tempo wir über 900 Jahre brauchen würden, ehe wir Palästinas Boden ge-
kauft haben werden. Ich zeigte, dass selbst bei einer Verzehnfachung der Einnahmen
das Tempo der Landerwerbung infolge der unvermeidlichen Preissteigerung der Böden
so langsam werden muss, dass der Nationalfonds nach 20 Jahren erst – bestenfalls –
400.000 oder 500.000 Dunam146 wird besitzen können, also so viel, wie die Zwergrepu-
blik Andorra Boden hat.«
»Dann müssen die Juden eben noch mehr Geld hergeben«, knurrte Kazprin. »Das
ist alles nur Sache der Propaganda. Propaganda macht man aber nicht, indem man von
unvermeidlichen Kriegen mit den Arabern erzählt.«
146 Dunam (türk.) : Flächenmaßeinheit zur ungefähren Umrechnung in Hektar, in den islamischen
Ländern unterschiedlicher Größe.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355