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296 C. Wolfgang von Weisl
»Ach so«, nickte Eldad, plötzlich ruhig, sachlich geworden. »Du bist dem Kerl im
Frack zu Dank verpflichtet, weil er dir über mich erzählt hat. Ach so …« Er schwieg lange.
Erst in diesem Augenblick kam es Eldad zum Bewusstsein, dass Hanna seinen Kampf
gegen Kazprin, sein Verlassen des Postens in der Zionistischen Kommission anders auf-
fassen könne als er selbst. Dass sie nicht so unbedingt zu ihm gehörte, wie er es für selbst-
verständlich gehalten hatte, dass er sie erst erobern musste. Sie, Hanna, seine Braut.
Das Mädchen unterbrach seine Überlegungen. Sie nahm seine Hand, die mit dem
Silbergriff des Säbels spielte, und hielt sie fest : »Was war zwischen dir und Kazprin ?
Willst du nicht erzählen ? Ich warte darauf.«
»Nichts war zwischen uns
– nichts !« Eldad sprang auf und stellte sich breitbeinig vor
sie, die im Sand sitzen blieb und zu ihm aufsah. »Du musst verstehen, Hanna, dass es in
Palästina nicht so weitergehen kann wie bis jetzt. Die Araber sind gegen uns, bereiten
einen Pogrom vor
– und misslingt ihnen der Angriff heute, so werden sie morgen einen
zweiten versuchen und übermorgen einen dritten, bis sie uns ins Meer werfen. Zwei
Wege gibt es gegen diese Gefahr …« Er dozierte wie auf einer Rednertribüne, ver-
gaß die Geliebte, vergaß die berauschende Mondnacht, vergaß das Purimfest, von dem
dann und wann ein Windstoß die Klänge von Liedern und das Gellen von Jauchzern
zu ihnen wehte. Hanna war jetzt für ihn nur eine aus dem Volk, eine von Millionen
– er
musste sie gewinnen, wie er Millionen Seelen gewinnen musste, sie vor allen anderen.
Aufmerksam hörte Hanna zu. »Ja. Zwei Wege gibt es ?«, wiederholte sie fragend.
»Zwei Wege. Der eine – jüdische Regierung in Palästina unter englischer Oberho-
heit, gestützt auf starkes jüdisches Militär, meinetwegen in britischen Uniformen, das
Sicherheit gewährt. Diesen Weg haben Kazprin und seine Partei zerschlagen, noch ehe
sicher war, dass ihn England ablehnen würde. Sie wollten und wollen keine Legion. Sie
waren gegen jüdische Soldaten. So blieb nur der zweite Weg, der heißt : Eile !«
Eldad machte eine Pause, schöpfte Atem, trank die Salzluft, die vom Meer her über
die Dünenhügel strich. »Eile. Heute steht ein Jude in Palästina gegen neun Araber. Das
ist tödliche Gefahr, denn unser Leben hängt davon ab, dass es in Englands Politik passt,
uns gegen neunfache Mehrheit zu schützen. Wir brauchen Eile ! Einwanderer ! Wenn
sie die Mehrheit im Lande haben werden, dann ist die Judenfrage gelöst, dann ist das
Dritte jüdische Reich gegründet. Nach dem Reiche Davids und nach dem Reiche der
Makkabäer188
– das Dritte Reich der jüdischen Massen !«189
»Du hast darüber schon einige Male zu mir gesprochen. Was hat das aber mit dem
Konflikt zwischen dir und Kazprin zu tun ?«, schaltete Hanna ein.
188 Das Reich der Makkabäer bestand von 165 bis 63 v.
Chr.
189 Vgl. LWV 213, wo Joseph Goebbels’ Vision vom »Dritten Reich« als »Plagiat« des »Dritten Jüdi-
schen Reiches« konterkariert wird.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355