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Der Anfang der Wandlung Israels 307
hat ihn nicht verstanden. Er muss ihm alles nochmals erklären. Er wischt sich über
die feucht gewordene Stirn, spricht auf den Kameraden ein. Zum ersten Mal fühlt
er nicht mehr den bohrenden Schmerz um Hanna im Herzen, der ihn seit ihrem
Abschied im Wachen nicht mehr verließ. Er vergisst Hanna über dem Freund. Be-
gründet abermals seinen Gedankengang : Masseneinwanderung, um die Mehrheit zu
bekommen. Masseneinwanderung gestützt auf Kapitaleinwanderung, also auf Unter-
ordnung der sozialistischen Planwirtschaft unter das Gebot des eiligen Aufbaus. Diese
Forderung darf aber nicht von den Kapitalisten ausgehen, sonst wird sie Klasseninte-
resse – sie muss von den Arbeitern erhoben werden … den nationalen Arbeitern im
Interesse des verelenden Proletariats in den Ghettos Europas, das sonst nicht nach
Palästina kann.
Mit brennender Aufmerksamkeit versucht Steinberg, dem Freund zu folgen, dessen
Logik er schätzte, und fragt : »Aber was geht das uns von der Selbstwehr an ? Ich ver-
stehe, dass du für Masseneinwanderung bist, die sich auf die Kapitalkraft der jüdischen
Bourgeoisie stützen soll. Schön. Das ist das Programm Max Nordaus. Kandidiere damit
zum Zionistenkongress. Aber was hat das mit der Selbstwehr zu tun ?« Eldad springt
auf, öffnet sein Hemd, ihm ist, als müsse er ersticken : »Weil die Selbstwehr dafür ein-
steht, dass die Araber uns nicht mit Gewalt aus Palästina verjagen. Und weil die Selbst-
wehr, und sei sie zehnmal besser als heute, diesen Kampf auf die Dauer nicht führen
kann, wenn wir nicht die Mehrheit haben. Weil wir uns nicht auf die Dauer verteidigen
können, wenn wir illegal bleiben. Weil wir nur dann legal werden können, wenn es eine
jüdische Regierung gibt, die uns anerkennt. Die jüdische Regierung, die wir nur dann
schaffen können, wenn wir die Bevölkerungsmehrheit im Lande bekommen. Und diese
Mehrheit verhindert die sozialistische Planwirtschaft der Arbeiterpartei mit ihrem Kaz-
prin, für die wir nie genug Geld haben werden.«
»Aber der Solel Boneh ? Aber die Fonds ? Sie bekommen doch Millionen Dollar ?«,
fragte Steinberg entschlossen. Eldad zuckte die Achseln : »Und sie verlieren noch mehr,
als sie bekommen. Ein sozialistischer Kolonist kostet nach den Plänen Kazprins 7.500
Dollar für Boden und Wirtschaft ; dazu kommt sein Teil an den allgemeinen Adminis-
trationsspesen – rechne dazu noch 40 % für Sammelkosten – weißt du, was das heißt ?
Das bedeutet, dass zwölf Millionäre in Europa jeder 1000 Dollar herschenken müssen,
damit wir einen Sozialisten kolonisieren können. Wenn aber jemand, der auch nur eine
Viertelmillion hat, hier eine Fabrik aufmacht, kann er zweihundert jüdischen Proleta-
riern Arbeit geben. Das ist der Unterschied.«
Steinberg protestierte : »Und wenn dein Millionär Bankrott macht, sind deine zwei-
hundert Proletarier brotlos ! Aber nicht darum geht es, Eldad. Du magst Recht behalten.
Aber dann kämpfe innerhalb der Partei für eine neue Wirtschaftspolitik. Was du willst,
ist ja schließlich vom Parteistandpunkt aus zu verteidigen.«
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355