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316 C. Wolfgang von Weisl
Georges machte eine rhetorisch wirksame Pause. Er war mit seiner Einleitung zu-
frieden. Jeder seiner Zuhörer war geschmeichelt, und durch sein Lob für ihre Einigkeit
hatte er den Boden fĂĽr neue Taten vorbereitet.
Er fing wieder zu reden an, Qual und Kummer in seiner Stimme. Palästina aber leide
mehr als jedes andere Land des unglĂĽcklichen Syrien. In Beirut, in Damaskus, in Aman
haben Fremde zu gebietenÂ
– aber es ist nur ein politisches Joch, unter dem die arabische
Rasse dort schmachtet. Palästina wird überdies noch von Einwanderern überschwemmt,
von Juden aus Russland und Polen, die unter dem Schutz britischer Bajonette ins Land
kommen und den Söhnen des heiligen Bodens Brot und Arbeit, Land und Luft weg-
nehmen. Und dies ist die schlimmste Gefahr fĂĽr die arabische Einheit. Die fremden
Bajonette werden früher oder später weggehen können – weggehen müssen. Die frem-
den Einwanderer aber werden bleiben wollen und werden uns zwingen, sie im Lande zu
lassen, wenn sieÂ
– was Allah nicht wolleÂ
– bis dahin stark genug sein werden.
Die Versammlung murmelte gedämpft Beifall. Habib Beg es Salim, der soeben vom
jüdischen Oberkommissär begnadigt und zum Vizegouverneur von Tulkarem197 ernannt
worden war, rief schrill : »Warum kommen nicht die Juden direkt zu uns, geradenwegs
und ohne sich von den Engländern beschützen zu lassen ? Warum verhandeln sie nicht
mit den Arabern statt mit den britischen Ministern in London ?«
Georges Farughi hörte aufmerksam und liebevoll dem Zwischenruf zu, verneigte sich
dankbar und fragte vorwurfsvoll : »Ja, warum ? Und mit noch mehr Nachdruck frage
ich : Warum begehen sie solche Schandtaten im Lande, die das Herz jedes Kulturmen-
schen zerreißen und es mit Besorgnis erfüllen ? Jeder Christ ist empört darüber, dass sie
sich mit ihrer weltbekannten Unverschämtheit und Anmaßlichkeit unter dem Schatten
von Golgatha ausbreiten. Dort, wo seit Jahrhunderten nur frommes Gebet und Pilger-
gesang zu Allah aufstieg, den Christen und Muslims gemeinsam verehren, dort tönen
die schamlosen Lieder von Tanzkapellen und Kinomusikanten. Und Christen und Mo-
hammedaner der ganzen WeltÂ
– nicht nur PalästinasÂ
– sehen entsetzt, wie zugleich mit
dieser echt kommunistischen Sittenlosigkeit auch kommunistischer Umsturz sich im
Heiligen Lande breit macht. Nie zuvor war es in Palästina erhört, dass Arbeiterorga-
nisationen geschaffen wurden, dass Klassenkampf eine Kluft riss zwischen den reichen
und den armen Söhnen des Landes. Alle Gläubigen sind Brüder, sind Söhne eines Va-
ters im Himmel, lehrt der Islam und lehrt Jesus. Die Juden aber wollen diese BrĂĽder-
schaft zerreiĂźen. Sie hetzen die Fellachen gegen die Grundbesitzer, die Arbeiter gegen
die Meister, Bruder gegen Bruder. Von Haus zu Haus, von Feld zu Feld gehen sie und
predigen den bolschewistischen Aufstand, die Revolution !«
197 Tulkarem (Tulkarm) : Stadt, ca. 90Â
km nördlich von Jerusalem.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355