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Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Seite - 196 -
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196 Tagebuch 1924 mal ganz anders. Meine Nerven rissen mich so herum, daß es fast wie ein Schüttel- frost war. Erst beim Nachmahl wurde ich ganz ruhig u. habe dann zum erstenmal etwas ausgiebiger geschlafen. Ehrlich war mit d. Zeichnungen nicht zufrieden : immer ist d. Kopf u. d. Ausdruck gut, aber der Körper fehlt, weil er ihn nicht ver- steht. Im Kleid nicht versteht. Am nächsten Tag schneite es so stark, daß er nicht malen gehen konnte u. mich bat, doch erst am Nachmittag nach Wien zu fahren, er wollte auch versuchen, die Zeichnungen auszubessern. Ich machte ihm den Vor- schlag, ihm zu einer Aktzeichnung zu sitzen. Er war sehr froh darüber, es sollte nur eine Arbeitszeichnung sein, die er dann zerreißen wollte. Mir war dieser Entschluß sonderbar leicht u. selbstverständlich, da ich die Kunst als eine heilige u. meinen Körper, der weiß Gott nicht mehr schön ist, als eine unerotische Angelegenheit ansehe. Wir gingen Vormittag spazieren, aßen dann im Hotel u. gingen an die Arbeit. Während er mir den Rücken kehrend am Ofen saß, öffnete ich mein Kleid und rutschte aus den Ärmeln meiner verschiedentlichen Trikots heraus. „Sind sie fertig ?“  – „Schon lange.“ Dann aber geschah etwas Sonderbares. Ehrlich sagte, er wisse nicht, was in ihm vorgehe, er könne sich aber nicht entschließen mich anzusehen oder zu zeichnen. Wenn es für ihn nur eine Angelegenheit des Stiftes sei, so bedeute es für den Hans so viel mehr u. er würde dem Hans gegenüber eine Schuld auf sich la- den, wenn er das nicht anerkenne. Er war stolz auf den Verzicht  – umso mehr stolz, je größer er ihn ein- schätzte. „Ich stelle seit einiger Zeit den la vie pour l’art-Standpunkt zu hoch  – daß ich heute so handeln konnte, zeigte mir, daß ich auf dem Weg der Besse- rung bin.“  – Ich bat ihn jene stille Märchenzeichnung, die er in Breitenstein von mir gemacht hatte, als sein unverkäufliches Eigentum zu behalten u. bat ihn, ihm eine Widmung darauf schreiben zu dürfen. Schrieb darauf : „Dem Freund vom Hans  – die tief dankbare Frau.“ Ehrlich dankte mir für die Wid- mung : „Jetzt ist die Zeichnung noch einmal so schön.“ Dann zeichnete er mich noch einmal im Stuhl sitzend „ganz einfach“, was ihm nie gelungen war u. es gelang wun- derbar rein und schlicht. Schließlich gingen wir spazieren u. auf d. Leihbibliothek, wo wir mit Mühe ein halbwegs einladendes Buch fanden, mit dem er sich den einsamen Abend zerstreuen könne. Zur Bahn hinauf und ich nachhaus. Ungeheiztes Coupé, Verspätung, halb 11 erst zuhaus. Hans bei Taussigs, von wo er um eins mit d. Auto des Vizebürgerm[eisters] Emmerling heim kam. Da erzählte ich ihm alles, was ich Abb. 34 : „Der Körper fehlt, weil er ihn nicht versteht.“ – Georg Ehrlich, Erica Tietze-Conrat, Halbporträt im Hemd und mit offenen Haaren, 1924.
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Erica Tietze-Conrat Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
Titel
Erica Tietze-Conrat
Untertitel
Tagebücher
Band
I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Herausgeber
Alexandra Caruso
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2015
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79545-2
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
458
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Danksagung 9
  2. Alexandra Caruso : Zur Edition 11
  3. Edward Timms : Zum Geleit
  4. Die Aufzeichnungen einer „tiefverzweigten“ Frau 17
  5. Alexandra Caruso : „Der Wiener Vasari“ 21
  6. Tagebuch 1923 30
  7. Tagebuch 1924 186
  8. Tagebuch 1925 308
  9. Tagebuch 1926 384
  10. Alexandra Caruso : Zur Spanienreise 387
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