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Tagebuch 1924
darin. Dieser Gedanke ist mir schrecklich – aber da kann man nichts machen. Ich
stelle mir die Sarah, weiß Gott, anders vor. Schlank und biegsam und nicht dieser
klobige Zwerg. Da Mordo ein besonders Radikaler, wird ja sicher nichts daraus wer-
den. Aber es freut mich, daß Kiesler das Bedürfnis hat, einzulenken.50
9. März
Gestern ein bewegter Tag. Impressionistenausstellung Würthle (schwach, herrliches
Cézanneaquarell). Mein Begleiter Kris, den ich am Graben getroffen hatte und der
mir immerfort anerkennende Dinge sagte (lästig) ; mit diesem eine Bronze (Kopie
oder Replique nach Vischers Wappenhalter in München ?) bei einem Antiquitäten-
händler angeschaut. Dann Neue Galerie, wundervolle Munchausstellung, Graphi-
ken u. Bilder. Viele Leute gesprochen u. a. Salvendy, bei der ich mich für Dienstag
ansagte. Nachmittag Frappartstunde, dann nachhaus, eine Viertelstunde ausgeruht,
dann in eine Göttin des Weines verwandelt und mit dem Hauerwirt Hans (blaues
Fürtuch u. Heber vom Hengl) zu Laskes. Gedraht* bis zum ersten Zug (¾ 5), um 6
im Bett. Mittels Ohropax bis zur Suppe durchgeschlafen. Armer Hans leider nicht.
Nachmittag bei Fannina Halle eine Theaterausstellungssitzung mit Strnad gehabt.
Anknüpfend daran unstimmiges Gespräch mit Westheim, der bei Fannina zu Gaste
wohnt. Bei mir war Gaby Ehrlich, die von Dissertations- und häuslichen Mißständen
schwer hergenommen ist.51
10.III.
Eidlitz las im Kulturbund aus einem Roman vor. Ich fuhr dann mit ihm nachhaus. Es
war ganz nett, Wiener Stimmungen, stellenweise „poetisch“, menschlich empfunden.
Sommerfrischenlektüre.52
11.III.
Beim Belvedere mein Aufsätzchen über die Statuetten Donners (im Barock-
mus[eum]) abgegeben. Dann Noldeausstellung zur linken u. Harta zur rechten im
Künstlerhaus eröffnet. Nolde war mir doch nicht so unzugänglich als ich ursprünglich
gefürchtet hatte. Besonders bei den Aquarellen geh ich ganz gut mit. Der Josef in
d. Staatsgalerie erscheint wirklich als eine gute Wahl. Harta’s Portraitausstellung ist
trostlos. Ein vollständiger Kitschist ohne die Tradition. Eine ehemalige Schülerin
Hartas begrüßt ihn u. merkt nach paar Worten, daß er sie nicht erkennt. „Sie erken-
nen mich nicht, erinnern Sie sich ‚Stein‘, jetzt hab ich geheiratet aber –“ „Natürlich
erkenne ich Sie – ich hab sie ja vor 3 Wochen gezeichnet, Ada Stein –“ „Nein, das
bin ich nicht – ich.“ „Aber ich bitte sie, hier ist doch ihr Portrait (er führt sie hin), –“
„Ich bin nicht Ada Stein, sondern Hella Stein, ihre Schülerin – wenn sie mich schon
* sich herumtreiben
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien