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Tagebuch 1926
76 Es ist anzunehmen, dass Ehrlich, Lampls sowie Gerda Seitz mit ihren Eltern bei dieser
Gelegenheit auch die Donaueschinger Musiktage besuchten, die seit dem Jahr 1921 in
dem Schwarzwaldstädtchen abgehalten wurden. Zahlreiche Uraufführungen – auch von
österreichischen Komponisten der Moderne, darunter Werke Hauers – haben bei diesem
weltweit ersten Festival für Neue Musik stattgefunden (Programm des Jahres 1926, SWR).
77 „Aus Köln zurückgekommenen Sachen“ – TB 1926, 27.3.
Schließlich wurden drei Mutter-Kind-Darstellungen aufgenommen, die als Sequenz die
Entwicklung in der Mutter-Kind-Beziehung illustrieren : Radierung 1 stellt eine monu-
mentale Mutter mit ihrem Wickelkind dar, Radierung 2 die etwas aus der Distanz gesehene
Gruppe, ergänzt durch ein Kleinkind, und Radierung 3 eine gealterte Mutter hinter ihrer
heranreifenden (als Halbakt dargestellten) Tochter.
HT hatte sich 1908 für mittelalterliche und moderne Kunstgeschichte an der Universität
Wien habilitiert. 1919 war ihm der Titel eines ao. Professors verliehen worden. Der Inhaber
der I. Kunsthistorischen Lehrkanzel, Josef Strzygowski, hatte damals, laut Protokoll der
Kommissionssitzung, seine Zustimmung zur Verleihung des Professorentitels an HT an die
Bedingung geknüpft, dass HT sich beruflich nicht an der Universität entfalte, eine Sorge,
die Dvořák (ebenfalls laut Protokoll) für ohnedies unbegründet hielt (Archiv der Univer-
sität Wien, Personalakt Hans Tietze, Protokoll der Kommissionssitzung vom 7.7.1919).
Zwanzig Jahre später waren die in dieser Floskel formulierten Vorbehalte eindeutig : „In
eigenen ,Nichtarierpromotionen‘ wurde ihnen von der NS-Bürokratie in Ministerium und
Universität eine Promotion gestattet, aber nur unter der Auflage einer eidesstattlichen Er-
klärung, den entsprechenden Beruf im gesamten Gebiet des Deutschen Reichs nicht auszu-
üben
– also Promotion nur bei gleichzeitigem Berufsverbot.“ (Posch/Ingrisch/Dressel 2008,
124 ; zur Geschichte der Kunstgeschichte an der Universität Wien siehe Aurenhammer
2002 ; ders. 2004 ; ders. 2005.)
Otto Reich
– gemeint ist höchstwahrscheinlich der langjährige Bibliothekar der Akademie
der bildenden Künste, der wie Strzygowski später Nationalsozialist wurde. „Otto Reich,
Bibliotheksdirektor der Akademie, war bereits seit 1933 Mitglied der NSDAP.“ (Klamper
1990, 20 ; zu Strzygowski siehe Schödl 2011.)
Karl Maria Swoboda hatte bereits seit 1924 Lehraufträge am Institut für Kunstgeschichte
sowie ab dem Wintersemester 1925/26 zusätzlich am Österreichischen Institut für Ge-
schichtsforschung inne.
Der naturwissenschaftlich interessierte Christoph Tietze hatte möglicherweise nach be-
standener Matura (Abitur) ein Praktikum am Deutschen Museum in München angetreten.
Zu den Besuchern an diesem Tag zählten neben der Familie Steiner (Vater Hugo, Mutter
Lily, Töchter Eva und Maridl) und Hilda Lampl HTs ältester Bruder, Landesgerichtsrat
Paul Tietze, und dessen Frau Stefanie. Während Stefanie Tietze 1941 noch in Wien ver-
starb, wurde Paul Tietze in das KZ Theresienstadt deportiert, wo er 1943 ums Leben kam.
Vermutlich hatte Paul Tietze wegen der Krankheit seiner Frau selbst zu lange in Wien
ausgeharrt, sodass eine Flucht nicht mehr möglich gewesen war.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien