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Von der funktionalen Tanzmusik zur autonomen Komposition
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zung der Strausskapelle ab ca. 1868 entspricht in etwa dem, was Brahms und Bruckner für ihre Sinfonien
verlangten.55 Erst um die Jahrhundertwende, durch Richard Strauss und Gustav Mahler, entstanden groß
dimensionierte sinfonische Dichtungen und Sinfonien, die zahlreiche Nebeninstrumente erforderten.
Beethovens Innovationen basieren auf dem Ausschöpfen und konsequenten Weiterentwickeln der
instrumentalen Möglichkeiten. Im Folgenden werden jene Teilbereiche benannt, die Auswirkungen auf
die Kompositionsweise der Brüder Strauss hatten:
a) Orchestersatz – Partizipation aller Instrumente am motivisch-thematischen Geschehen: Bereits in An-
sätzen in den Sinfonien Haydns angedeutet, lässt Beethoven alle Instrumente teilhaben an der Ausge-
staltung der thematischen Gedanken. Johann und Josef Strauss übernehmen dieses Prinzip, Melodien
werden nicht nur einem Instrument anvertraut, sondern „wandern“ durch mehrere Instrumente oder
Instrumentengruppen, werden von mehreren Seiten „beleuchtet“.
b) „Obligates Akkompagnement“: Motive, die unauffällig als Begleitfloskeln eingeführt werden, erhalten
in der weiteren Arbeit Gewicht und übernehmen thematische Funktionen. In einem Walzer findet die-
ses sinfonische Prinzip naturgemäß weniger Anwendung; doch gibt es in den Strauss-Werken zahlreiche
Belege für die Überwindung der strengen Trennung von Melodie und Begleitung.
c) Orchesterklang: Beethovens Tonfall zeichnet sich durch extreme Dynamik, durch einen bisweilen grob-
schlächtigen, ja aggressiven Gestus aus. Jähe Akzente, unvermittelte Pianoabbrüche nach Tuttiabschnit-
ten sorgen für stetige atemlose Spannung. In der Generation um Lanner und Strauss Vater finden wir
noch Spurenelemente dieser unvermittelten Direktheit.56 Die Romantik bevorzugte einen homogenen,
geglätteten Orchesterklang, wie er sich in den Werken der Straussbrüder findet.
d) Einzelinstrumente: Der oben beschriebene direkte, nicht auf Schönheit abzielende Klang hat viel mit
der Verwendung der Naturhörner und Naturtrompeten zu tun. Mangels Ventilen konnten Hörner und
Trompeten ausschließlich Töne der Naturtonreihe (sowie durch Stopfen gewisse Nebentöne) hervor-
bringen. Lanner und Strauss Vater ließen daher die Hörner auf Trompeten wechseln, damit erhielten sie
einen drei- oder vierstimmigen Trompetenchor, mit dem sie charakteristische Fanfarenpassagen und Ka-
denzen gestalten konnten. Für die einzelnen, in unterschiedlichen Stimmungen spielenden Instrumente
ergeben sich zum Teil grotesk anmutende Septimen- und Nonensprünge, unvermittelte Abbrüche, leere
Takte, erst im Zusammenklang lassen sich die harmonischen Fortschreitungen erkennen. Die in hohen
Stimmungen spielenden Klarinetten tragen wesentlich zu diesem geschärften Tonfall, der charakteris-
tisch für die Tanzmusik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist, bei. Gegen Ende seines Wirkens, in
der Neunten Sinfonie, setzte Beethoven erstmals das Ventilhorn ein, welches die vollständige chromati-
sche Leiter hervorbringen kann. Diese Ventilinstrumente werden in der Romantik – und somit auch in
der Strausskapelle – Standard. Rudimentär finden wir Reste dieser Klangwelt noch in der nachfolgenden
Generation: An den Klarinetten in C, D und Es hielt Josef Strauss Zeit seines Lebens fest.
Zur Frage der Tempi in Tanzkompositionen
Zeitgenössische Abbildungen von Tanzveranstaltungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts vermitteln ein
plastisches Bild von der räumlichen Disposition im Saal: die Kapelle erhöht an der Stirnseite, unten das
Tanzparkett. Der Vorgeiger, der das musikalische Geschehen leitet, steht mit dem Gesicht zur tanzenden
Menge und mit dem Rücken zu seinen Musikern, ein Beleg für das Interagieren zwischen Musik und
Tanzpaaren. Das Ensemble konnte auf die Atmosphäre sowohl reagieren als sie aktiv beeinflussen: Eine
laue Stimmung wurde befeuert, eine überhitzte Menge behutsam beruhigt.
Beliebt war der Walzer zunächst bei den „Kleinen Leuten“, während Adel und Bürgertum das wilde
Geschehen eher misstrauisch beobachteten. Auf Hofbällen wurde die Tradition des Menuetts länger ge-
55 Einschränkend muss angemerkt werden, dass die Streicher der Strausskapelle kleiner besetzt waren als es bei Konzerten pro-
fessioneller Orchester der Fall war. Allerdings wurde die 4. Sinfonie von Johannes Brahms bei der Uraufführung in Meiningen
von einem mittelgroßen Orchester gespielt, das in etwa der Besetzung der Strausskapelle entsprochen haben dürfte.
56 Der Lärmpegel in den überfüllten Tanzsälen dürfte hoch gewesen sein, entsprechend laut und robust musste die Tanzkapelle
spielen. Erst mit dem Aufkommen einer „Konzertkultur“ auch im Ballsaal wurden die zarteren Zwischentöne möglich, welche
die Werke von Johann und Josef Strauss auszeichnen.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Josef Strauss
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Josef Strauss
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21404-5
- Abmessungen
- 21.4 x 30.0 cm
- Seiten
- 496
Inhaltsverzeichnis
- Gebrauchsmusik im 19. Jahrhundert 9
- Von der funktionalen Tanzmusik zur autonomen Komposition 17
- Aufbau und Systematik des Werkverzeichnisses 37
- Werkverzeichnis
- I. Gedruckte Werke mit Opuszahl 45
- II. Gedruckte Werke ohne Opuszahl 431
- III. Ungedruckte Werke 445
- IVa. Ungedruckte Werke, in Autographen bzw. Abschriften erhalten 459
- IVb. Ungedruckte Werke, Autographe in Antiquariatskatalogen erwähnt 465
- V. Bearbeitungen – Aufführungen von Werken anderer Komponisten (Auswahl) 467
- Anhang