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Die Weiterentwicklung der Formen innerhalb der Gattungstradition
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pflegt, doch mit den Jahren wurde der Walzer in allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen akzeptiert
und beliebt. Infolgedessen wandelte sich der Walzer vom wilden Rundtanz hin zu einem moderaten
„klassischen“ Tanz. Exzesse werden nun vermieden, die bis dahin spontan ausgeführten Wechsel in den
Tempi verschwinden zugunsten ausnotierter Agogik und eines ausgewogenen, die Einheit der gesamten
Komposition wahrenden Grundtempos. Humoristische Elemente, wie Lanner sie noch pflegte – etwa Ge-
neralpausen mittendrin, wenn die Tanzpaare „unbegleitet“ sich weiterdrehten – setzte Josef Strauss nicht
mehr ein. Konzertant ausgeführt, ohne Interaktion mit dem Geschehen auf dem Tanzparkett, wären sie
auch gar nicht verstanden worden.
Die Weiterentwicklung der Formen innerhalb der Gattungstradition
Das Verschwinden der Gattungsgrenzen57 erleichterte die Integration des Walzers in sinfonische Werke58,
umgekehrt wurden Tanzmusikwerke für den Konzertgebrauch konzipiert.
Als eine erste programmatische Vorarbeit kann das Opus 196 von Joseph Lanner, „Die Mozartis-
ten“ mit dem Untertitel „Walzer aber nicht dem Tanze sondern den Verehrern des unsterblichen Mozart
geweiht“59, gesehen werden. Erstmals „verbietet“ ein Komponist, dass zu seinem Walzer getanzt wird, er
möchte ihn quasi unberührt als Konzertstück erhalten wissen, nicht durch profanen Tanz „entweiht“.
Etwas über zehn Jahre später, 1857 schreibt Josef Strauss mit dem Walzer „Perlen der Liebe“ op. 39 einen
„Concert-Walzer“, der die kompositorische Meisterschaft des noch am Beginn seiner Laufbahn stehen-
den Tondichters demonstrieren sollte und der, wie der Titel anzeigt, für rein konzertante Aufführungen
gedacht war.
Der Walzer als das zentrale Werk der Brüder Strauss
„Unter Tanzen aber versteh’ ich Walzen, alles andere heißt nicht tanzen, das heißt bloß mit den Füßen
lallen, den Tanz buchstabieren.“60 Was Moritz G. Saphir 1834 launisch formulierte, behielt seine Gültig-
keit das ganze 19. Jahrhundert hindurch: Das zentrale Werk der Wiener Tanzmusikkomponisten war und
blieb der Walzer.61
Am formalen Aufbau hielt Josef Strauss fest, der Walzer besteht bei ihm aus Introduktion, fünf Ein-
zelwalzern sowie einer abschließenden Coda.
introduKtion
Besonderes Augenmerk widmet er den Introduktionen62: Sie sind deutlich beeinflusst von den sinfo-
nischen Dichtungen Berlioz’ und Liszts, von Wagners harmonischen Erweiterungen. Durch keinerlei
formale Einschränkung gebunden, kann er der Gestaltung breiten Raum geben: Lyrische Passagen wech-
seln mit dramatischen, wobei der Grundcharakter des einleitenden Abschnitts nicht immer Aufschluss
auf die darauffolgenden Stimmungen der Einzelwalzer gibt. Bei Lanner und Strauss Vater umfasste die
Introduktion oft nur wenige Takte, war als bloße „Einladung zum Tanz“ gehalten. Ausweitungen führten
zu in sich geschlossenen Abschnitten, wenn etwa „Trouvaillen“ aus gerade aktuellen Opern verarbei-
57 Das Eindringen der „poetischen Idee“ in die Sinfonie spätestens ab der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz (1830)
zählt ebenso dazu wie umgekehrt die Strukturierung der sinfonischen Dichtung durch Einsatz von Gestaltungselementen wie
Sonatensatz-, Lied- und Scherzoformen.
58 Siehe z. B. Hector Berlioz, „Symphonie fantastique“, zweiter Satz: „Un Bal“, sowie die Walzersätze in den Sinfonien von
Tschaikowsky.
59 Dieser Walzer wurde 1842 komponiert, Hintergrund sind die zahlreichen Aktivitäten rund um den fünfzigsten Todestag
(1841) Mozarts.
60 Aus: „Pfennig-Briefe aus meiner Reisetasche“, in: „Theater-Zeitung“, 6.8.1834.
61 Als „Schöpfer“ bzw. „Vater“ des Walzers wurden Lanner und Strauss Vater bezeichnet, Strauss Sohn gar als „Walzerkönig“
apostrophiert.
62 Strauss verwendete die Schreibweise „Introduction“, diese wurde auch in den Druckausgaben übernommen.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Josef Strauss
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Josef Strauss
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21404-5
- Abmessungen
- 21.4 x 30.0 cm
- Seiten
- 496
Inhaltsverzeichnis
- Gebrauchsmusik im 19. Jahrhundert 9
- Von der funktionalen Tanzmusik zur autonomen Komposition 17
- Aufbau und Systematik des Werkverzeichnisses 37
- Werkverzeichnis
- I. Gedruckte Werke mit Opuszahl 45
- II. Gedruckte Werke ohne Opuszahl 431
- III. Ungedruckte Werke 445
- IVa. Ungedruckte Werke, in Autographen bzw. Abschriften erhalten 459
- IVb. Ungedruckte Werke, Autographe in Antiquariatskatalogen erwähnt 465
- V. Bearbeitungen – Aufführungen von Werken anderer Komponisten (Auswahl) 467
- Anhang