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Der Walzer als das zentrale Werk der Brüder Strauss
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menschema (achttaktig) kann abgewichen werden (zwölftaktig bis hin zu einer durch Sequenzierungen,
Fortspinnungen und Abspaltungen erweiterten Großform mit über dreißig Takten), durch Verschrän-
kungen können ungeradzahlige Themen entstehen. Rückmodulationen und erweiterte Kadenzierungen
vor Wiederholungen ergeben Verlängerungen oder Verkürzungen des Abschnittes. Harmonisch können
zweite Teile sowohl tonartnah als auch tonartfern auftauchen, wobei eine gewisse Vorliebe für Terzver-
wandtschaften (ähnlich wie bei Schubert) zu erkennen ist. Die harmonische Abfolge der Walzerteile folgt
entweder dem Quintenzirkel oder ist kontrastierend (Terzverwandtschaft, Wechsel zu eine Dur- oder
Molltonart etc.) angelegt. Besteht ein Walzerteil aus nur einem Thema, so ist dieses sehr lange (mehr als
30 Takte, z. B. „Ernst und Humor“ op. 254). Zwischen den Walzerteilen können kurze Modulationsteile
(als „Einleitung“ vor dem eigentlichen „Walzer“ bezeichnet) eingeschoben werden. Diese Teile sind fast
ausschließlich vor den Walzern Nr. 4 und/oder 5 zu finden, selten vor Nr. 3, so gut wie nie bereits vor Wal-
zer Nr. 2. Erforderlich sind sie, wenn sich die vorangegangenen Walzer bereits weit von der Grundtonart
entfernt haben. Tonartmäßig weit „entfernte“ Walzer stehen in der Mitte des Gesamtwerkes, bilden also
einen Gegenpol zur Grundtonart, den Punkt der größten harmonischen Spannung. In der Gesamtanlage
kann man somit eine Kreisbewegung erkennen: Von der Grundtonart ausgehend werden unterschiedliche
Tonarten durchschritten, bevor man zum Ausgangspunkt des ersten Walzers zurückkehrt. Die Verzah-
nung66 zwischen den einzelnen Walzern kann durch auftaktige Themen erfolgen, wobei dieser Auftakt
sogar einen gesamten Takt umfassen kann. In Klavierausgaben, in denen die Beginne der einzelnen Wal-
zerteile eingerückt gedruckt wurden, steht vor der Akkolade die Nummer des Walzers. Beginnt der Walzer
mit einer Einleitung, steht anstelle der Nummer „Einleitung“, erst bei Einsetzen des Walzerthemas steht
dann die laufende Nummer. Alternativ können die Nummer vor der Akkolade und oberhalb des Systems
„Einleitung“ und „Walzer“ gedruckt sein. Da die Einleitung von der vorangegangenen zur nachfolgenden
Tonart moduliert, wird der Tonartwechsel entweder erst beim eigentlichen Eintritt des Walzerthemas
(markiert durch den Doppelstrich in Kombination mit dem Wiederholungszeichenbeginn) angegeben
oder bereits am Beginn. In ersterem Fall können falsche bzw. fehlende Akzidenzien vorkommen, insbe-
sondere in den Partiturabschriften, wenn Strauss in Gedanken bereits bei der nachfolgenden Tonart ist,
die korrekten Harmonietöne dann aber falsch notiert. Diese Fehler wurden selbst in den Druckausgaben
nicht immer beseitigt.
coda
Als Werkabschluss fungiert die Coda67, die im Regelfall ihrerseits wieder drei Teile umfasst. Analog zum
Überleitungsteil am Ende der Introduktion kann das Einsetzen der Coda als Kontrast oder als Fortsetzung
des Vorangegangenen (unter Verwendung des letzten Walzerthemas in abgeänderter Form) fungieren. Im
darauffolgenden Abschnitt werden mindestens zwei der bereits zitierten Walzerteile aufgenommen, wobei
fast immer das erste Thema des ersten Walzers auftaucht (und damit seine Rolle als „Haupteinfall“ des
Werkes unterstreicht), allerdings schiebt Strauss zunächst einen anderen Walzerteil ein (kontrastierend),
ehe er das Hauptthema aufgreift. Zwischen diese Walzerwiederholungen werden Überleitungsteile (mo-
dulierend, oft auf Basis von Material, das zuvor in den Walzern Verwendung fand) gestellt, die Walzerthe-
men sind unverändert.68 In den Partiturabschriften wurden die Walzerteile häufig nicht ausgeschrieben,
66 In Analogie zur durchkomponierten Oper oder der sinfonischen Dichtung gehen die Einzelwalzer meist nahtlos ineinander
über. Damit unterscheidet Josef Strauss sich von zeitgenössischen Walzerkomponisten (z. B. Josef Gung’l), welche die Einzel-
walzer in sich abgeschlossen aneinanderreihen. Endet ein Walzer ohne Anschluss an den nachfolgenden, so ist letzterer durch
einleitende Takte abgesetzt und als Neubeginn markiert, wodurch sich übergeordnete Gruppierungen ergeben.
67 Der letzte Teil wird als „Coda“ bezeichnet, seltener als „Finale“: Hingegen findet sich diese Überschrift in manchen Partituraus-
gaben der mittleren Periode, möglichweise um die Bedeutung und Gewichtung dieses Teiles zu kennzeichnen. Nicht verwech-
seln darf man dieses „Finale“ mit den als „Finale“ bezeichneten ausgeschriebenen Da-Capo-Teilen der Polkas und Märsche in
den Klavierausgaben: Dort soll lediglich lästiges Zurückblättern verhindert werden (d. h. der Finaleteil entspricht exakt dem
Polkateil, an ihn schließt sich dann der meist kurze Schlussteil direkt an – siehe dort).
68 Im Sonatensatz kann ein Komponist in der Durchführung zuvor aufgestellte Themen verarbeiten (Abspaltungen, Sequenzi-
erungen usf.), das enge Korsett des Tanzes erlaubt derlei Freiheiten nicht. Josef Strauss nutzt die Coda, um Walzermelodien
in den überleitenden Abschnitten durchführungsartig zu behandeln, insbesondere dort, wo zwei in der Tonart weit entfernte
Abschnitte zu verbinden sind.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Josef Strauss
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Josef Strauss
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21404-5
- Abmessungen
- 21.4 x 30.0 cm
- Seiten
- 496
Inhaltsverzeichnis
- Gebrauchsmusik im 19. Jahrhundert 9
- Von der funktionalen Tanzmusik zur autonomen Komposition 17
- Aufbau und Systematik des Werkverzeichnisses 37
- Werkverzeichnis
- I. Gedruckte Werke mit Opuszahl 45
- II. Gedruckte Werke ohne Opuszahl 431
- III. Ungedruckte Werke 445
- IVa. Ungedruckte Werke, in Autographen bzw. Abschriften erhalten 459
- IVb. Ungedruckte Werke, Autographe in Antiquariatskatalogen erwähnt 465
- V. Bearbeitungen – Aufführungen von Werken anderer Komponisten (Auswahl) 467
- Anhang