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Von der funktionalen Tanzmusik zur autonomen Komposition
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Potpourri
Beliebt beim Publikum Lanners und Strauss Vaters, aufwendig inszeniert mit Kanonendonner, Lichtef-
fekten und Einsatz der ungewöhnlichsten Instrumente, verschwand das Potpourri in der nachfolgenden
Generation nahezu vollständig.73 Dort, wo es noch gepflegt wurde (z. B. „Jupiter und Pluto“, ein Er-
folgsstück, das monatelang auf den Spielplänen stand), war es als Spektakel ohne höheren künstlerischen
Anspruch grob zusammengezimmert unter Einbezug beliebter Melodien, eingesetzt zur Belustigung eines
Publikums, das augenzwinkernd dieser vorsintflutlichen Art der Freizeitgestaltung beiwohnte. Dennoch
sollten wir diese Form nicht geringschätzen: Das erwähnte Potpourri „Jupiter und Pluto“ zeigt uns die
Straussbrüder als kluge Disponenten der einzelnen Szenen (Inhalt ist der Wettstreit zwischen Ober- und
Unterwelt), und lässt bedauern, dass Josef Strauss sich nie der Bühne zugewandt hat.
„Ausdehnungen und Fortschritte“ bei Johann (Sohn) und Josef Strauss
melodie
Das Primat der Melodie wird nicht gestört, die scheinbar unendlich sprudelnden Einfälle bilden bis
zuletzt die Basis, auf der Walzer und Polkas aufgebaut werden. Bedenkt man, dass eine Walzerkette mit
fünf Einzelwalzern zu je zwei Teilen zehn unterschiedliche Themen erfordert, lässt sich ermessen, wie viele
Melodien Josef Strauss Zeit seines Lebens erfinden musste, nämlich annähernd zweitausend. Nicht jede
war „inspiriert“, in vielen Walzern finden sich geniale Gedanken neben konventionellen.74
Ausgeführt wird die Melodie durch die ersten Geigen, fallweise emanzipiert sie sich und wird von
anderen Stimmen ausgeführt. Verdopplungen, auch in Oktavführung, bieten farbliche Abwechslung, sie
kann „durchbrochen“, also auf mehrere Stimmen aufgeteilt werden. Reizvolle Dialoge zwischen Strei-
cher- und Bläserstimmen, aber auch zwischen Stimmen der gleichen Instrumentalgruppe vermitteln das
„Rhetorische“ der Musik.
Sparsam ist Josef Strauss in der Verwendung von Verzierungen: Akzente, Triller und Mordent geben
Themen eine pikante Note, ohne sie zu stören. Überall dort, wo die Melodie selbst im Vordergrund steht
(stark rhythmisierte Motive, meist im Zusammenwirken mit einer besonderen harmonischen Gestaltung,
Abwechslung von kurzen und langen Notenwerten, überraschende Intervallsprünge etc.), verzichtet er
auf Zutaten, hingegen bei ruhigen, harmonisch simplen Konstruktionen setzt er sie ein. Staccato75 in
Achtelketten ist als Hinweis auf rhythmisch gut artikulierte Ausführung zu verstehen, im Stil versierte
Musiker bedürfen in der Regel dieser Zusatzhinweise nicht.
Artikulation und Phrasierung: problematisch sind häufig die Setzung von Artikulationszeichen und
Phrasierungsbögen:
a) ein und dasselbe Motiv kann bei Wiederholungen/Parallelstellen oder in gleichzeitig spielenden Instru-
menten unterschiedlich bezeichnet werden. Bei Artikulationen ist zu beachten:
a. Akzente können entweder > oder ^ notiert werden. Der liegende Akzent kommt eher auf langen
Noten vor (was auf seine Ableitung aus der diminuendo-Gabel hindeutet, er wird auch in diesem
Sinn ausgeführt), der stehende hingegen deutet auf einen stärkeren kürzeren Akzent hin. Diese Un-
terscheidung ist nicht immer konsequent durchgeführt, das gleiche Motiv kann in unterschiedlichen
73 Kein einziges Potpourri wurde mit einer Opuszahl versehen.
74 Zu untersuchen wäre, wie sich die „Melodienfindung“ des Kapellmeisters Josef Strauss, der mehrmals wöchentlich vor dem
Orchester stand und ausschließlich in diesem Genre tätig war, unterscheidet von einem nur komponierenden Musiker. Ver-
mutlich dienten die diversen Skizzenbücher, in welche die Straussbrüder ihre Einfälle eintrugen, nicht nur dazu, einen „Vorrat“
für kärglichere Zeiten anzulegen, sondern auch der Selbstkontrolle.
75 An dieser Stelle sei auf eine Notationspraxis verwiesen, wie sie sowohl in Handschriften als auch in Drucken bei Abbreviaturen
vorkommt: Über der Note wird durch Punkte die Anzahl der zu spielenden Einzeltöne angezeigt (etwa über einer halben Note
werden durch vier Punkte vier zu spielende Achtelnoten verlangt; wichtig ist diese Praxis vor allem bei Triolen, um Missver-
ständnisse zu vermeiden). Da es sich immer um repetierende Noten handelt, ist klar, dass diese getrennt zu spielen sind. Ob
diese Punkte damit automatisch als Staccatopunkte zu lesen sind, ist umstritten.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Josef Strauss
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Josef Strauss
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21404-5
- Abmessungen
- 21.4 x 30.0 cm
- Seiten
- 496
Inhaltsverzeichnis
- Gebrauchsmusik im 19. Jahrhundert 9
- Von der funktionalen Tanzmusik zur autonomen Komposition 17
- Aufbau und Systematik des Werkverzeichnisses 37
- Werkverzeichnis
- I. Gedruckte Werke mit Opuszahl 45
- II. Gedruckte Werke ohne Opuszahl 431
- III. Ungedruckte Werke 445
- IVa. Ungedruckte Werke, in Autographen bzw. Abschriften erhalten 459
- IVb. Ungedruckte Werke, Autographe in Antiquariatskatalogen erwähnt 465
- V. Bearbeitungen – Aufführungen von Werken anderer Komponisten (Auswahl) 467
- Anhang