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mag? Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch
und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich dass er wohltue, nicht aus
Neigung, sondern aus Pflicht.
Seine eigene Glückseligkeit sichern, ist Pflicht (wenigstens indirekt), denn
der Mangel der Zufriedenheit mit seinem Zustande in einem Gedränge von
vielen Sorgen und mitten unter unbefriedigten Bedürfnissen könnte leicht eine
große Versuchung zu Übertretung der Pflichten werden. Aber auch ohne hier
auf Pflicht zu sehen, haben alle Menschen schon von selbst die mächtigste
und innigste Neigung zur Glückseligkeit, weil sich gerade in dieser Idee alle
Neigungen zu einer Summe vereinigen. Nur ist die Vorschrift der
Glückseligkeit mehrenteils so beschaffen, dass sie einigen Neigungen großen
Abbruch tut und doch der Mensch sich von der Summe der Befriedigung aller
unter dem Namen der Glückseligkeit keinen bestimmten und sichern Begriff
machen kann; daher nicht zu verwundern ist, wie eine einzige in Ansehung
dessen, was sie verheißt, und der Zeit, worin ihre Befriedigung erhalten
werden kann, bestimmte Neigung eine schwankende Idee überwiegen könne,
und der Mensch, z. B. ein Podagrist, wählen könne, zu genießen, was ihm
schmeckt, und zu leiden, was er kann, weil er nach seinem Überschlage hier
wenigstens sich nicht durch vielleicht grundlose Erwartungen eines Glücks,
das in der Gesundheit stecken soll, um den Genuss des gegenwärtigen
Augenblicks gebracht hat, Aber auch in diesem Falle, wenn die allgemeine
Neigung zur Glückseligkeit seinen Willen nicht bestimmte, wenn Gesundheit
für ihn wenigstens nicht so notwendig in diesen Überschlag gehörte, so bleibt
noch hier wie in allen andern Fällen ein Gesetz übrig, nämlich seine
Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht, und da
hat sein Verhalten allererst den eigentlichen moralischen Wert.
So sind ohne Zweifel auch die Schriftstellen zu verstehen, darin geboten
wird, seinen Nächsten, selbst unsern Feind zu lieben. Denn Liebe als Neigung
kann nicht geboten werden, aber Wohltun aus Liebe selbst, wenn dazu gleich
gar keine Neigung treibt, ja gar natürliche und unbezwingliche Abneigung
widersteht, ist praktische und nicht pathologische Liebe, die im Willen liegt
und nicht im Hange der Empfindung, in Grundsätzen der Handlung und nicht
schmelzender Teilnehmung; jene aber allein kann geboten werden.
Der zweite Satz ist: eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert
nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der
Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit
des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip des
Wollens, nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände des
Begehrungsvermögens geschehen ist. Dass die Absichten, die wir bei
Handlungen haben mögen, und ihre Wirkungen, als Zwecke und Triebfedern
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Buch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Titel
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Autor
- Immanuel Kant
- Datum
- 1785
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 70
- Schlagwörter
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70