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priori zu beweisen, dass dergleichen Imperativ wirklich stattfinde, dass es ein
praktisches Gesetz gebe, welches schlechterdings und ohne alle Triebfedern
für sich gebietet, und dass die Befolgung dieses Gesetzes Pflicht sei.
Bei der Absicht, dazu zu gelangen, ist es von der äußersten Wichtigkeit,
sich dieses zur Warnung dienen zu lassen, dass man es sich ja nicht in den
Sinn kommen lasse, die Realität dieses Prinzips aus der besondern
Eigenschaft der menschlichen Natur ableiten zu wollen. Denn Pflicht soll
praktisch-unbedingte Notwendigkeit der Handlung sein; sie muss also für alle
vernünftige Wesen (auf die nur überall ein Imperativ treffen kann) gelten und
allein darum auch für allen menschlichen Willen ein Gesetz sein. Was
dagegen aus der besondern Naturanlage der Menschheit, was aus gewissen
Gefühlen und Hange, ja sogar wo möglich aus einer besonderen Richtung, die
der menschlichen Vernunft eigen wäre und nicht notwendig für den Willen
eines jeden vernünftigen Wesens gelten müßte, abgeleitet wird, das kann zwar
eine Maxime für uns, aber kein Gesetz abgeben, ein subjektiv Prinzip, nach
welchem wir handeln zu dürfen Hang und Neigung haben, aber nicht ein
Objektives, nach welchem wir angewiesen waren zu handeln, wenn gleich
aller unser Hang, Neigung und Natureinrichtung dawider wäre, sogar, dass es
um desto mehr die Erhabenheit und innere Würde des Gebots in einer Pflicht
beweiset, je weniger die subjektiven Ursachen dafür, je mehr sie dagegen
sind, ohne doch deswegen die Nötigung durchs Gesetz nur im mindesten zu
schwächen und seiner Gültigkeit etwas zu benehmen.
Hier sehen wir nun die Philosophie in der Tat auf einen misslichen
Standpunkt gestellt, der fest sein soll, unerachtet er weder im Himmel, noch
auf der Erde an etwas gehängt oder woran gestützt wird. Hier soll sie ihre
Lauterkeit beweisen als Selbsthalterin ihrer Gesetze, nicht als Herold
derjenigen, welche ihr ein eingepflanzter Sinn, oder wer weiß welche
vormundschaftliche Natur einflüstert, die insgesamt, sie mögen immer besser
sein als gar nichts, doch niemals Grundsätze abgeben können, die die
Vernunft diktiert, und die durchaus völlig a priori ihren Quell und hiermit
zugleich ihr gebietendes Ansehen haben müssen: nichts von der Neigung des
Menschen, sondern alles von der Obergewalt des Gesetzes und der schuldigen
Achtung für dasselbe zu erwarten, oder den Menschen widrigenfalls zur
Selbstverachtung und innern Abscheu zu verurteilen.
Alles also, was empirisch ist, ist als Zutat zum Prinzip der Sittlichkeit nicht
allein dazu ganz untauglich, sondern der Lauterkeit der Sitten selbst höchst
nachteilig, an welchen der eigentliche und über allen Preis erhabene Wert
eines schlechterdings guten Willens eben darin besteht, dass das Prinzip der
Handlung von allen Einflüssen zufälliger Gründe, die nur Erfahrung an die
Hand geben kann, frei sei. Wider diese Nachlässigkeit oder gar niedrige
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Buch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Titel
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Autor
- Immanuel Kant
- Datum
- 1785
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 70
- Schlagwörter
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70