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als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hierdurch aber entspringt eine
systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche
Objektive Gesetze, d. i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die
Beziehung dieser Wesen auf einander als Zwecke und Mittel zur Absicht
haben, ein Reich der Zwecke (freilich nur ein Ideal) heißen kann.
Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke,
wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst
unterworfen ist. Es gehört dazu als Oberhaupt, wenn es als gesetzgebend
keinem Willen eines andern unterworfen ist.
Das vernünftige Wesen muss sich jederzeit als gesetzgebend in einem
durch Freiheit des Willens möglichen Reiche der Zwecke betrachten, es mag
nun sein als Glied, oder als Oberhaupt. Den Platz des letztern kann es aber
nicht bloß durch die Maxime seines Willens, sondern nur alsdann, wenn es
ein völlig unabhängiges Wesen ohne Bedürfnis und Einschränkung seines
dem Willen adäquaten Vermögens ist, behaupten.
Moralität besteht also in der Beziehung aller Handlung auf die
Gesetzgebung, dadurch allein ein Reich der Zwecke möglich ist. Diese
Gesetzgebung muss aber in jedem vernünftigen Wesen selbst angetroffen
werden und aus seinem Willen entspringen können, dessen Prinzip also ist:
keine Handlung nach einer andern Maxime zu tun, als so, dass es auch mit ihr
bestehen könne, dass sie ein allgemeines Gesetz sei, und also nur so, dass der
Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend
betrachten könne. Sind nun die Maximen mit diesem Objektiven Prinzip der
vernünftigen Wesen, als allgemein gesetzgebend, nicht durch ihre Natur
schon notwendig einstimmig, so heißt die Notwendigkeit der Handlung nach
jenem Prinzip praktische Nötigung, d. i. Pflicht. Pflicht kommt nicht dem
Oberhaupte im Reiche der Zwecke, wohl aber jedem Gliede und zwar allen in
gleichem Maße zu.
Die praktische Notwendigkeit nach diesem Prinzip zu handeln, d. i. die
Pflicht, beruht gar nicht auf Gefühlen, Antrieben und Neigungen, sondern
bloß auf dem Verhältnisse vernünftiger Wesen zu einander, in welchem der
Wille eines vernünftigen Wesens jederzeit zugleich als gesetzgebend
betrachtet werden muss, weil es sie sonst nicht als Zweck an sich selbst
denken könnte. Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens als
allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen und auch auf jede
Handlung gegen sich selbst und dies zwar nicht um irgend eines andern
praktischen Bewegungsgrundes oder künftigen Vorteils willen, sondern aus
der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht
als dem, das es zugleich selbst gibt.
Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde.
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Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Titel
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Autor
- Immanuel Kant
- Datum
- 1785
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 70
- Schlagwörter
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70