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wenn er nur sonst Vernunft zu brauchen gewohnt ist, der nicht, wenn man ihm
Beispiele der Redlichkeit in Absichten, der Standhaftigkeit in Befolgung
guter Maximen, der Teilnehmung und des allgemeinen Wohlwollens (und
noch dazu mit großen Aufopferungen von Vorteilen und Gemächlichkeit
verbunden) vorlegt, nicht wünsche, dass er auch so gesinnt sein möchte. Er
kann es aber nur wegen seiner Neigungen und Antriebe nicht wohl in sich zu
Stande bringen, wobei er dennoch zugleich wünscht, von solchen ihm selbst
lästigen Neigungen frei zu sein. Er beweiset hierdurch also, dass er mit einem
Willen, der von Antrieben der Sinnlichkeit frei ist, sich in Gedanken in eine
ganz andere Ordnung der Dinge versetze, als die seiner Begierden im Felde
der Sinnlichkeit, weil er von jenem Wunsche keine Vergnügung der
Begierden, mithin keinen für irgend eine seiner wirklichen oder sonst
erdenklichen Neigungen befriedigenden Zustand (denn dadurch würde selbst
die Idee, welche ihm den Wunsch ablockt, ihre Vorzüglichkeit einbüßen),
sondern nur einen größeren inneren Werth seiner Person erwarten kann. Diese
bessere Person glaubt er aber zu sein, wenn er sich in den Standpunkt eines
Gliedes der Verstandeswelt versetzt, dazu die Idee der Freiheit, d. i.
Unabhängigkeit von bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt, ihn
unwillkürlich nötigt, und in welchem er sich eines guten Willens Bewusst ist,
der für seinen bösen Willen als Gliedes der Sinnenwelt nach seinem eigenen
Geständnisse das Gesetz ausmacht, dessen Ansehen er kennt, indem er es
übertritt. Das moralische Sollen ist also eigenes notwendiges Wollen als
Gliedes einer intelligibelen Welt und wird nur so fern von ihm als Sollen
gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet.
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Buch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Titel
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Autor
- Immanuel Kant
- Datum
- 1785
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 70
- Schlagwörter
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70