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Dieser Gedanke führt freilich die Idee einer anderen Ordnung und
Gesetzgebung, als die des Naturmechanismus, der die Sinnenwelt trifft, herbei
und macht den Begriff einer intelligibelen Welt (d. i. das Ganze vernünftiger
Wesen, als Dinge an sich selbst) notwendig, aber ohne die mindeste
Anmaßung, hier weiter als bloß ihrer formalen Bedingung nach, d. i. der
Allgemeinheit der Maxime des Willens als Gesetz, mithin der Autonomie des
letzteren, die allein mit der Freiheit desselben bestehen kann, gemäß zu
denken; da hingegen alle Gesetze, die auf ein Objekt bestimmt sind,
Heteronomie geben, die nur an Naturgesetzen angetroffen werden und auch
nur die Sinnenwelt treffen kann.
Aber alsdann würde die Vernunft alle ihre Grenze überschreiten, wenn sie
es sich zu erklären unterfinge, wie reine Vernunft praktisch sein könne,
welches völlig einerlei mit der Aufgabe sein würde, zu erklären, wie Freiheit
möglich sei.
Denn wir können nichts erklären, als was wir auf Gesetze zurückführen
können, deren Gegenstand in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben
werden kann. Freiheit aber ist eine bloße Idee, deren objektive Realität auf
keine Weise nach Naturgesetzen, mithin auch nicht in irgend einer möglichen
Erfahrung dargetan werden kann, die also darum, weil ihr selbst niemals nach
irgend einer Analogie ein Beispiel untergelegt werden mag, niemals begriffen,
oder auch nur eingesehen werden kann. Sie gilt nur als notwendige
Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens, d. i. eines
vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedenen Vermögens, (nämlich
sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft
unabhängig von Naturinstinkten zu bestimmen) Bewusst zu sein glaubt. Wo
aber Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung
auf, und es bleibt nichts übrig als Verteidigung, d. i. Abtreibung der Einwürfe
derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben und
darum die Freiheit dreist für unmöglich erklären. Man kann ihnen nur zeigen,
dass der vermeintlich von ihnen darin entdeckte Widerspruch nirgends anders
liege als darin, dass, da sie, um das Naturgesetz in Ansehung menschlicher
Handlungen geltend zu machen, den Menschen notwendig als Erscheinung
betrachten mussten und nun, da man von ihnen fordert, dass sie ihn als
Intelligenz auch als Ding an sich selbst denken sollten, sie ihn immer auch da
noch als Erscheinung betrachten, wo denn freilich die Absonderung seiner
Kausalität (d. i. seines Willens) von allen Naturgesetzen der Sinnenweit in
einem und demselben Subjekte im Widerspruche stehen würde, welcher aber
wegfällt, wenn sie sich besinnen und wie billig eingestehen wollten, dass
hinter den Erscheinungen doch die Sachen an sich selbst (obzwar verborgen)
zum Grunde liegen müssen, von deren Wirkungsgesetzen man nicht
verlangen kann, dass sie mit denen einerlei sein sollten, unter denen ihre
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Buch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Titel
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Autor
- Immanuel Kant
- Datum
- 1785
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 70
- Schlagwörter
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70