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menschliche Vernunft jemals einsehen. Unter Voraussetzung der Freiheit des
Willens einer Intelligenz aber ist die Autonomie desselben, als die formale
Bedingung, unter der er allein bestimmt werden kann, eine notwendige Folge.
Diese Freiheit des Willens vorauszusetzen, ist auch nicht allein (ohne in
Widerspruch mit dem Prinzip der Naturnotwendigkeit in der Verknüpfung der
Erscheinungen der Sinnenwelt zu geraten) ganz wohl möglich (wie die
spekulative Philosophie zeigen kann), sondern auch sie praktisch, d. i. in der
Idee, allen seinen willkürlichen Handlungen als Bedingung unterzulegen, ist
einem vernünftigen Wesen, das sich seiner Kausalität durch Vernunft, mithin
eines Willens (der von Begierden unterschieden ist) Bewusst ist, ohne weitere
Bedingung notwendig. Wie nun aber reine Vernunft ohne andere Triebfedern,
die irgend woher sonst genommen sein mögen, für sich selbst praktisch sein,
d. i. wie das bloße Prinzip der Allgemeingültigkeit aller ihrer Maximen als
Gesetze (welches freilich die Form einer reinen praktischen Vernunft sein
würde) ohne alle Materie (Gegenstand) des Willens, woran man zum voraus
irgend ein Interesse nehmen dürfe, für sich selbst eine Triebfeder abgeben und
ein Interesse, welches rein moralisch heißen würde, bewirken, oder mit
anderen Worten, wie reine Vernunft praktisch sein könne, das zu erklären,
dazu ist alle menschliche Vernunft gänzlich unvermögend, und alle Mühe und
Arbeit, hievon Erklärung zu suchen, ist verloren.
Es ist eben dasselbe, als ob ich zu ergründen suchte, wie Freiheit selbst als
Kausalität eines Willens möglich sei. Denn da verlasse ich den
philosophischen Erklärungsgrund und habe keinen anderen. Zwar könnte ich
nun in der intelligibelen Welt, die mir noch übrig bleibt, in der Welt der
Intelligenzen, herumschwärmen; aber ob ich gleich davon eine Idee habe, die
ihren guten Grund hat, so habe ich doch von ihr nicht die mindeste Kenntnis
und kann auch zu dieser durch alle Bestrebung meines natürlichen
Vernunftvermögens niemals gelangen. Sie bedeutet nur ein Etwas, das da
übrig bleibt, wenn ich alles, was zur Sinnenwelt gehört, von den
Bestimmungsgründen meines Willens ausgeschlossen habe, bloß um das
Prinzip der Bewegursachen aus dem Felde der Sinnlichkeit einzuschränken,
dadurch dass ich es begrenze und zeige, dass es nicht Alles in Allem in sich
fasse, sondern dass außer ihm noch mehr sei; dieses Mehrere aber kenne ich
nicht weiter. Von der reinen Vernunft, die dieses Ideal denkt, bleibt nach
Absonderung aller Materie, d. i. Erkenntnis der Objekte, mir nichts als die
Form übrig, nämlich das praktische Gesetz der Allgemeingültigkeit der
Maximen und diesem gemäß die Vernunft in Beziehung auf eine reine
Verstandeswelt als mögliche wirkende, d. i. als den Willen bestimmende,
Ursache zu denken; die Triebfeder muss hier gänzlich fehlen; es müsste denn
diese Idee einer intelligibelen Welt selbst die Triebfeder oder dasjenige sein,
woran die Vernunft ursprünglich ein Interesse nähme; welches aber
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Buch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Titel
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Autor
- Immanuel Kant
- Datum
- 1785
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 70
- Schlagwörter
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70