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44 Tagebücher
heute war hier zu ehren der schlacht bei leipzig große revue des Bürger-
und linienmilitärs, der wir vom fenster zusahen.
[frankfurt] 20. oktober
die tage verstreichen mir jetzt rasch hintereinander, da ich sie beständig
bei horrocks zubringe, ich lebe in einer Art von glücklichem sonambulis-
mus, der besonders mit meinem unmittelbar vorangegangenen Zustande
sehr kontrastirt, so wie ich Auguste nach und nach wieder ganz kennen
lerne, wie sie ehemals war, mit ihrem schwärmerischen, tiefen gemüthe,
ihrer beinahe abgöttischen und dabei so reinen, so innigen, so ganz hinge-
benden liebe und unselbstsüchtigen Zuneigung zu mir, mit ihrem edlen,
festen, so eminent moralischen character, mit ihrem feinen, durchdringen-
den verstande, ihren umfassenden kenntnissen und dabei ihrer beinahe
exaltirten Bewunderung für mich, so erwacht meine ganze vorige liebe
wieder, und ich fühle es immer mehr, wie sehr sie und nur sie auf erden
von allen frauen, die ich bisher kannte, geschaffen wäre, mich glücklich
zu machen. ich habe denn auch zu ihr gesprochen wie zu meiner einzi-
gen, besten freundin, ich habe ihr meine inneren Zustände aufgedeckt,
meine unzufriedenheiten, Pläne und gedanken, es hat mir unendlich wohl
gethan, mich so ganz ohne rückhalt gegen eine so theilnehmende freundin
epandieren zu können, ich habe ihr gesagt, wie ich in österreich keine nah-
rung für meinen Geist, für meinen Drang nach Thätigkeit finden könne,
wie mich selbst die diplomatische carrière jetzt nicht mehr anlache, da
ich in derselben sogar mehr als sonst wo maschine sein würde, und wie
ich daher halb und halb entschlossen sei, eine neue Bahn einzuschlagen
und zu einem wohlthätigen umschwunge in den gouvernementalen ideen
meines landes, welche bisher nur in einer idee, in der unterdrückung alles
Geistigen bestehen, was nicht lange mehr dauern kann, mein Schärflein
beizutragen.
daß eine verbindung zwischen uns so gut als unmöglich sei, davon ist
sie vollkommen überzeugt, und dieser engel, denn nur so kann ich Auguste
nennen, widmet dieser traurigen überzeugung kaum einen regret, sie ist
ganz gefaßt, ihr leben nutzlos mir zum opfer zu bringen, weil sie sagt, daß
ihr auch nicht von ferne der gedanke an eine verbindung mit einem an-
deren kommen könnte, und daß sie in dem gedanken, daß ich sie liebe und
ihr freund bleiben würde, mehr als hinreichenden ersatz und glückseelig-
keit finden werde, sie verlangt nichts weiter und findet dabei ihr Schicksal
sogar noch beneidenswerth, was ist doch ein liebendes Weib für ein engel.
sie hat in diesen 3 Jahren viel kummer ausgestanden und großen theiles
durch mich, jedoch ohne mein verschulden, der unerklärliche umstand,
daß durch mehr als 6 monate keine meiner Briefe sie erreichten, bis wir
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien