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46 Tagebücher
seinem sohn eduard als später in interlacken meiner cousine reinhard
angekündigt,1 welche letztere ihn davon préveniren wollte, von da werde
ich eduard in der nähe von laken besuchen und endlich gegen die mitte
November in Wien eintreffen. Dieses vorläufige Denouement aller meiner
Zustände operirt nicht ganz so frei in mir, als es unter anderen umständen
der fall sein würde, weil mich die Anwesenheit Augustes jetzt beinahe aus-
schließlich préoccupirt. horrocks gehen übermorgen fort, vielleicht begleite
ich sie bis mainz, so steht mir denn in wenig stunden eine neue Wunde
bevor, deren ich bei meinem zerrissenen gemüthe wohl nicht erst bedürfte.
flore schrieb mir heute von stepberg bei Arco,2 wo sie sich unendlich
wohl und glücklich fühlt.
gabrielle wird erst gegen den 15. november abreisen.
Aschaffenburg 26. oktober Abends
heute habe ich mich von Auguste getrennt und bin nun wieder allein, ganz
allein und auf der Rückreise in meinen finsteren traurigen Kerker, denn so
erscheint mir mein vaterland.
gestern früh gegen 11 uhr fuhren horrocks von frankfurt ab, ich beglei-
tete sie, oder eigentlich ich fuhr etwa eine halbe stunde vor ihnen weg und
Auguste in meinem Wagen mit mir.
Als wir in mainz ankamen, gingen wir Beide in der stadt herum und
besahen uns die domkirche mit ihren unzähligen grabsteinen und Wap-
penschildern, bis der andere Wagen ankam.
dann speiste ich bei ihnen und brachte den rest des tages bei ihnen
zu. heute früh war ich bis gegen 10 uhr bei ihnen und begleitete sie dann
zum dampfschiffe. noch lange nachdem sie abgefahren waren, stand ich
da, sah ihnen nach und sah, wie Auguste und clara mir noch lange mit den
tüchern zuwinkten, dann fuhr ich auf der stelle nach frankfurt zurück.
und so ist es denn aus, und auch dieser sturm, dieser schmerz ist über-
standen, d.h. der augenblickliche schmerz der trennung, denn das nach-
haltige, spätere, hinterdrein kommende, so unendlich schmerzhafte gefühl
des getrenntseins wird erst erwachen, wenn der erste taumel vorbei sein
wird, so geht es mir wenigstens immer, in den ersten Augenblicken nach ei-
ner solchen Trennung ist mir diese nicht so sehr empfindlich, weil ich noch
nicht recht daran glauben kann, weil hundert kleine erinnerungen, kleine
umstände mich noch umschweben, so daß ich so zu sagen wenn auch schon
1 Gräfin Amalie Reinhard, die Gattin des französischen Gesandten in der Schweiz, war eine
tochter des bayerischen Politikers und diplomaten frh. maximilian lerchenfeld, eines
schwagers von Andrians onkel frh. ferdinand v. Andrian-Werburg.
2 schloss stepperg bei neuburg a.d. donau (Bayern), im Besitz der grafen Arco-stepperg.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien