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Oktober 1839
sie sieht in mir einen menschen, der den keim und die Bestimmung zu
etwas großen in sich trägt, einen menschen, wie es unter millionen kaum
einen gibt, und ich fühle stoff in mir, ihr vertrauen zu rechtfertigen, wenn
mir nicht die ganze Welt und tausend eigene verhältnisse entgegen treten.
Aber was ich hiezu mehr als alles Andere bedarf, ist, den glauben an
mich selbst zu behalten, verliere ich den, so ist Alles verloren, und ich ver-
liere mich in der masse, der tag, an dem ich ihr gestehen müßte, daß sie
sich in mir betrogen und mich überschätzt habe, würde der bitterste mei-
nes lebens sein, weil es der erste demüthigende wäre. diese enttäuschung
würde ich schwerlich überleben, denn jene idee ist mein höchstes, fast mein
einziges gut.
und eben deßwegen wäre mir die Anwesenheit Augustens doppelt
nothwendig, weil ich, so oft jenes stolze frohe selbstvertrauen im kampfe
mit der Alltäglichkeit und mit den tausend ehernen Banden der dummheit
und der mittelmäßigkeit wankend gemacht würde, im Anblick ihrer liebe
dasselbe wieder gewinnen und neu gestärkt würde.
gestern noch waren wir beisammen, und heute sind wir schon um mehr
als hundert meilen weit auseinander! und wer weiß, wenn wir uns wieder-
sehen, was wird indessen mit mir geschehen? Was wird aus mir, aus dem
edleren Theile meiner selbst, aus meinem Geiste werden? Soll er verflachen?
soll er nach all diesen fortwährenden und schmerzlichen gährungsproces-
sen versauern und der edle Spiritus verflüchtigen? In diesem Falle werden
diese Blätter, welche die denkwürdigste epoche meines lebens zu schildern
bestimmt sind, Zeugenschaft ablegen von den blutigen kämpfen, von den
angstvollen hülferufen, die dieser schmachvollen unterjochung vorange-
gangen sein werden, und sie werden zur Anklage dienen gegen meine Zeit
und meine verhältnisse, welche einen geist unterdrückt haben, der zu et-
was Besserem geboren war, als mit den übrigen ochsen seinen Platz am
Pfluge einzunehmen. Aber so schlimm ist es noch nicht! Noch bin ich auf-
recht und entschlossen, und was mehr als vieles Andere aufrecht und ent-
schlossen erhält, ist eben der gedanke, daß aus der ferne Jemand zusieht,
der seinen ganzen glauben, die ganze macht seines vertrauens und seiner
Bewunderung in mich gesetzt hat, der mich mit seinen Wünschen aber auch
mit seinen erwartungen begleitet, dieses wird und muß mir kraft geben.
im übrigen habe ich Auguste ganz dieselbe wie vordem gefunden, phi-
sisch etwas fanirt, was ich aber lediglich ihrem bisherigen und zwar in
letzter Zeit sehr bedeutenden unwohlsein zuschreibe. Bei ihrer unendlich
reizbaren, nervösen constitution haben darauf meist moralische ursachen
eingewirkt und zwar vor Allem, wie sie mir selbst gestand, der gedanke
an mich, das Ausbleiben meiner Briefe (welches mir nicht leicht erklärlich
ist) und der Zweifel an meiner Beständigkeit in folge dieses stillschwei-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien