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gens, nebstdem aber häusliche unannehmlichkeiten mit ihrem vater etc.,
das unangenehme, zanksüchtige, brummige und unzarte Benehmen dieses
letzteren habe ich nach und nach ganz kennen gelernt und gestehe, daß es
eine marter sein muß, mit ihm zu leben, trotzdem habe ich gefunden, daß
auch Auguste nicht ganz vorwurfsfrei in ihrem Benehmen gegen ihn sei,
sondern ihn durch kurze, unfreundliche Antworten nur noch mehr aufreize,
und ich habe ihr deßhalb einmal eine ziemlich derbe Predigt gehalten, wel-
che sie, die stolze dedaigneuse Auguste, mit der geduld und Zerknirschung
eines kindes anhörte und mir hoch und theuer versprach, sich zu ändern,
natürlich war ich sogleich ganz entwaffnet und bat sie um vergebung, sie
aber behauptete, es freue sie, wenn ich ihr solche lektionen gebe – der gute,
liebe engel!
gegen mich war der alte horrocks immer höchst freundlich und préve-
nant, so wie er uns das große opfer brachte, trotz seiner ungeduld fast 10
tage in frankfurt zu bleiben. in Betreff meiner Ab- und Aussichten sprach
er nie ein Wort, so sehr ich auch das gegentheil gefürchtet hatte. clara war
so liebenswürdig und freundschaftlich wie immer, so daß ich sie in meinem
herzen gleich nach Auguste setze. kurz, diese letzten tage gehören mit zu
den glücklichsten meines lebens.
sonst fand ich Auguste zwar momentan lustiger als sonst, ja sogar kin-
disch (so wie auch ich nicht glaube, jemals so pudelnärrisch gewesen zu sein
als manchmal in diesen tagen bei ihnen), im ganzen aber trüber oder doch
wenigstens ernster gestimmt, wovon ihr ennuyantes leben in england, die
wachsenden mißhelligkeiten zwischen ihren eltern und ihre zunehmenden
öconomischen übelstände schuld tragen. Was ich nebstdem noch in ihr be-
merkte, war eine größere, wenn auch vielleicht ihr selbst nicht recht klare
sinnlichkeit, so rein, so frei von aller auch nur von Weitem strafbaren Bei-
mischung unser verhältnis auch immer gewesen ist, so gab es doch Augen-
blicke, wo ich bemerken konnte, welch’ einen harten kampf sie gegen sich
selbst zu bestehen hatte, daß ich nicht auch nur von Weitem im stande ge-
wesen wäre, dieses zu benützen, versteht sich von selbst, ich liebe sie dazu
viel zu sehr und innig, und ich weiß, daß solch’ ein augenblicklicher rausch
tragische folge haben würde, sie selbst sagte mir einmal, daß, wenn sie
aufhören müßte, sich selbst zu achten, sie sich tödten würde.
nur einmal, als sie in einem solchen momente des kampfes ihren kopf
an meiner schulter barg, sagte sie auf meine dringende frage: Je suis mé-
contente de moi-même, worauf ich ihr dann, um sie aufzurichten, von der
Achtung sprach, welche mir ihr musterhaftes Benehmen gegen mich eben
in diesem Punkte, gleich weit von Pruderie und sinnlichkeit entfernt, ein-
geflößt habe. Sie hat mir letzthin gesagt, eine der Eigenschaften, welche sie
am meisten an mich gefesselt hätten, sei meine zarte Art gewesen, mit der
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien