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Oktober 1839
ich sie behandelt hätte, das englische Wort gentle drückt dieses besser aus.
Überhaupt finde ich, daß diese Eigenschaft das Hauptgeheimniß ist, um
den frauen zu gefallen, die Armen sind es von uns rohen männern so wenig
gewohnt, daß sie ordentlich überrascht sind, wenn sie bei Jemandem unse-
res Geschlechtes feine Empfindung und delicate Aufmerksamkeit finden.
Bamberg 28. oktober Abends
heute früh war ich sehr kleinmüthig, der gedanke an Auguste und Alles,
was ich in diesen letzten monaten gethan und gelitten habe, und an die nicht
minder schmerzlichen kämpfe, denen ich entgegen gehe, wobei mir aber noch
die freiheit mangeln wird, welche ich in dieser Zeit hatte, und in der sich
meine inneren Bewegungen ungehindert entwickeln konnten, endlich der ge-
danke an die hunderterlei rücksichten, ménagements, vorsichten, Befürch-
tungen etc. aller Art, die mich, sobald ich wieder in Wien bin, beängstigen
werden, und an die rathschläge und guten lehren von hundert verwandten
und guten Freunden. Alles dieses fiel mit Zentnerlast auf mein Gemüth. Und
dann so ganz allein zu sein! niemand zu haben, bei dem man liebe und theil-
nahme erwarten kann! dieses ist doppelt hart, wenn man sich gerade und
zwar vielleicht auf lange von einer solchen freundin getrennt hat.
und doch, wenn ich an Auguste denke, so geschieht es nicht mehr wie
sonst mit der wehmüthigen Empfindung, welche immer bei der Erinnerung
an einen ehemals theuren gegenstand beschleicht, der todt ist, oder den
man für verloren gibt, ich gebe sie nicht für verloren, nicht die hoffnung
an ein öfteres, frohes Wiedersehen, nicht das vertrauen auf eine dauernde
lebenslängliche freundschaft, ja selbst nicht ganz die hoffnung auf eine
dereinstige, wenn auch späte verbindung. es kömmt mir nicht möglich vor,
daß ein Wesen, welches so ganz eminent dazu geschaffen ist, für mich und
mit mir zu leben, nie mein werden sollte. nun und trotz allem dem liebe
ich sie vielleicht weniger, d.h. nicht so leidenschaftlich und heftig als sonst,
aber jene ruhige überzeugung ist darum nicht minder tief in mir gewurzelt,
und meine sehnsucht nach jenem glücke nicht minder stark und innig, der
schmerz, der tiefe, unendliche schmerz, den ich bei dem gedanken an sie
fühle, ist daher nur der überzeugung geweiht, daß ich sie gerade jetzt ent-
behren muß, wo ich sie mehr als jemals bedürfte, und auch mehr vielleicht
als jemals im stande wäre, dieses glück in vollen Zügen zu genießen.
und nun, was wird mit mir geschehen? ich werde der Aufforderung des
fürsten metternich gemäß in Wien meine ernennung zur diplomatie be-
treiben und indessen trachten, bei der staats-kanzlei verwendet zu wer-
den, lange aber kann und will ich nicht warten, denn dazu bin ich nicht
mehr jung genug, in diesem falle würde ich dann Alles an den nagel hän-
gen, denn in die administrative carièrre [sic] kehre ich in keinem falle
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien