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November 1839
alte Jungfer. morgen gehe ich von hier weg. emil mit mir, es wird mir wehe
thun, sie alle zu verlassen, sie sind Alle gar so gut und herzlich.
neuhaus am inn 10. november Abends
Am 4. früh verließ ich mit emil Bayreuth, wir speisten in Amberg, tran-
ken Abends in regensburg unseren thee und kamen gegen 3 uhr nach
mitternacht in straubing an. tags darauf verließen wir straubing gegen 9
uhr, zwischen Plattling und osterhofen plantirte uns unser Postillion oder
eigentlich der osterhofer Postillion, denn wir hatten gerade erst mit einem
uns auf der halben station begegneten Wagen Pferde getauscht, plötzlich
und lief querfeldein dem anderen Postillion nach, um ihm das Briefpaket zu
übergeben, welches er zu thun vergessen hatte. da wir die fruchtlosigkeit
seines Beginnens und daher die Wahrscheinlichkeit seines langen Ausblei-
bens einsahen, fuhren wir auf eigene faust nach osterhofen. nach 2 uhr
waren wir in vilshofen, wo eduard mich erwartete und zwar bei einem
verwandten von ihm, einem herrn von grauvogel, der da angestellt ist. er
hatte eine énorme und wahrhaft ungeheuchelte freude, mich zu sehen und
ebenso seinen Bruder emil, den er gar nicht erwartet hatte. nachdem wir
dort etwas gegessen hatten, fuhren wir weiter und kamen gegen 8 uhr hier
in Neuhaus an. Seitdem befinde ich mich hier und sehr wohl.
eduard ist ein charmanter, excellenter, prächtiger mensch, den ich alle
tage mehr lieb gewinne, wenn ich mich auch zuweilen über ihn imputten-
tire [sic], besonders über seine spöttereien über österreich und die öster-
reicher und sonst über einige unschuldige fanfaronachen, sonst aber ist er
ein mensch, der alle möglichen guten eigenschaften und zugleich das Äu-
ßere und die manieren eines menschen aus der großen Welt, als in welcher
er auch bis zu seiner verheirathung beständig gelebt hat, an sich hat.
er hat sich seit 1830, wo ich ihn in münchen sah, sehr zu seinem vor-
theile verändert. seine frau ist eine recht liebenswürdige angenehme
Person, welche zwar Anfangs etwas still, aber bei näherer Bekanntschaft
äußerst munter und zudem sehr gebildet und sorgfältig erzogen ist und
einen überraschend richtigen verstand und bon sens hat. ihre manieren
sind zwar nicht die brillanten einer frau aus der großen Welt, aber doch
von einem angeborenen und ganz unexceptionablen guten ton. ihr Äußeres
ist nicht schön aber gefällig.
Das Schloß ist wirklich superb, große magnifique Zimmer mit uralten
eichenen etc. meubles à la rococo, haut delisse tapeten etc., zudem die
herrliche lage auf einer kleinen insel mitten im inn, der österreichischen
grenze gegenüber, das haus ist auf einem sehr eleganten fuße montirt
und unendlich comfortable, kurz die ganze existenz hier sehr behaglich,
besonders da man allen Bewohnern das vergnügen ansieht, welches sie
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien