Seite - 64 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
Bild der Seite - 64 -
Text der Seite - 64 -
64 Tagebücher
[Wien] 4. dezember
mir ist jetzt meistens so bange und ängstlich zu muthe, die ungewißheit,
wie sich mein schicksal entscheiden wird, und der beständige stillschwei-
gende und zu Zeiten auch laut werdende kampf zwischen meiner über-
zeugung und allen meinen umgebungen drückt mich darnieder, wie ich es
voraussah, ist es gekommen, die bleierne gewalt der Alltäglichkeit hängt
sich an die flügel meines Willens und will mich in ein gewöhnliches leben
zurückziehen, sie verspricht mir ein bequemes ruhiges leben und schutz
gegen die inneren stürme, die mich jetzt verzehren, als ersatz für die gol-
denen träume eines großartigen lebens, für meinen heißen durst nach
nachruhm und unsterblichkeit. Wäre nur Jemand an meiner seite, der
mich in diesem kampfe stärkte! Wäre Auguste da! denn gegen niemand,
durchaus gegen niemand kann ich mich hier aussprechen, und das eben
drückt mich darnieder!
o wäre nur meine stellung von der Art, daß meine existenz gesichert
wäre, d.h. daß ich für meine Bedürfnisse und Angewohnheiten ein hinrei-
chendes vermögen hätte, wie wäre ich da über jeden kampf, über jeden
Zweifel hinaus! so aber habe ich die Befürchtung wider mich, daß, falls ich
das gewisse dem ungewissen aufopfere, der moment kommen könnte, wo
mich die nothwendigkeit zwingen würde, wieder in ein prosaisches leben
zurück und zwar in einer untergeordneten stellung zu treten, so daß ich
dann nicht nur nicht mein Ziel erreicht, sondern auch noch meine besten
Jahre zwecklos vergeudet hätte.
Wird es mir gelingen, zur diplomatie zu kommen? und wenn ich da bin,
wird es deßhalb besser sein? Werde ich deßhalb wirklich eine grandiose
Beschäftigung, einen Weg zu meinem Ziele finden? (Ich fürchte, nein.) In-
dessen scheint ein choc zwischen den beiden puissancen, der administrati-
ven und der diplomatischen, heranzunahen. louise desimon schrieb dieser
tage an gabriele, gleisbach habe meine ernennung zum kreiscommissär
mit dem Beisatze des gouverneurs erhalten, daß, wenn ich mich binnen 14
tagen nicht melde, dieß so angesehen werden sollte, als hätte ich resignirt.
nun das geht wohl nicht so schnell, und mein inzwischen angelangter Brief
an gleisbach wird, hoffe ich, den stand der sache wohl etwas geändert
haben, doch aber muß jetzt etwas geschehen, um daß mein längeres hier-
bleiben gerechtfertigt erscheine. ich habe darüber mit Wilczek und Pillers-
torff gesprochen, welche mir versprachen, mir nach reiflicher gemeinsamer
überlegung einen rath zu geben.
Bei fürst metternich bin ich schon seit 4–5 tagen vorgemerkt, aber habe
noch keine Audienz erhalten.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien