Seite - 65 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
Bild der Seite - 65 -
Text der Seite - 65 -
655.
Dezember 1839
[Wien] 5. dezember
gestern erhielt ich gleisbach’s Antwort auf meinen Brief, es war ein Paket
enthaltend:
1. meine ernennung zum kreiscommissär und meine Bestimmung nach
istrien,
2. einen offiziellen Verweis von Seite des Guberniums wegen meines lan-
gen Ausbleibens mit dem Beisatze, daß, wenn ich in 14 tagen nicht zurück-
kehre, es so angesehen werden sollte, als hätte ich resignirt, und
3. gleisbach’s Privat-Antwort, ziemlich förmlich und geschraubt, worin
er mir schreibt, daß er selbst wegen meines langen Ausbleibens viele unan-
nehmlichkeiten gehabt habe und noch habe, daß er daher in dieser sache
keine weitere einmischung nehmen wolle und könne, daß der gouverneur
äußerst aufgebracht sei etc.
Also ich soll nach istrien kommen, ich soll nicht nur meinen Plänen, mei-
nen träumen entsagen, ich soll mich auch noch in einer wüsten Wildnis
begraben und noch dazu in einem gouvernement, wo ich mißgünstige und
neider genug, aber keinen freund und gönner habe? Wo der gouverneur
selbst mir abgeneigt ist und bei meinem nächsten Avancement dieselben
oppositionen machen wird, welche es gegenwärtig um vielleicht 2 Jahre
verzögert haben. und doch ist mir dieses beinahe, ja sogar ganz gewiß lie-
ber als wieder nach görz zurückzukehren, und eben deßwegen ist mir jetzt
so entsetzlich, so unaussprechlich bange, weil ich fühle, daß alle meine stol-
zen entwürfe zu Wasser werden und ich statt alles dessen ein geduldiger
kreiscommissär in Pisino werden werde! o gott, rette mich vor mir sel-
ber! Und vor Allen den Einflüssen um mich herum! Mir ist, als hörte ich
den grabgesang meiner bisherigen träume von größe und ruhm! Als zöge
mich eine unsichtbare hand in das reich der Alltäglichkeit zurück. soll ich
denn also wirklich am geiste verfaulen, verkrüppeln? Welche bittere un-
zufriedenheit mit mir selbst erwartet mich in Pisino! ich werde mir da so
klein, ja niederträchtig vorkommen, nach all den hochtrabenden ideen und
Plänen – nichts, gar nichts! Zum raisoniren, zum Pläne schmieden war ich
stark genug, aber da es zum handeln kam, war ich feig und that, was Alle
Andern thun!
und doch, welche furchtbaren kämpfe habe ich gekämpft und kämpfe
ich noch! und Alles aboutirt mit nichts! und dabei fallen mir alle die men-
schen ein, die mir werth sind und mir aus der ferne zusehen! Auguste und
Gräfin Lottum und die Bombelles! Der interessante Mensch, der werdende
große mann, der cosmopolit, den sie kannten und vielleicht bewunderten,
endet als kreiscommissär in Pisino! Wo soll ich meine schande verbergen!
und damit Alles auf einmal über mir zusammenbreche, kommt eben
mein franz mit der Post zurück, fürst metternich habe mich an ottenfels
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien