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„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
Seite - 74 -
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74 Tagebücher diese kluft sich noch spalten wird, und unwillkürlich ziehe ich etwas von der Natur dieser Leute an, von ihrer schafsköpfigen Geduld, Ergebung und genügsamkeit mit dem ihnen beschiedenen loose eines fortwährenden ve- getierens. ich fühle sehr gut, daß ich ganz ein anderer mensch war vor ein paar monaten, da ich noch nicht in diese Atmosphäre hineingerathen war. ich fühle aber auch, daß es besser werden wird, sowie ich Wien verlassen werde. Besser? oder schlechter? Wird es deßhalb wirklich besser um mich aussehen. An ruhe, an innerer einigkeit mit mir selbst werde ich gewiß nicht gewinnen. Aber das thut nichts, was mir noch über mein glück, mei- nen seelenfrieden, meine ruhe geht, ist die allseitige entwicklung meiner kräfte, meines geistes, damit er sich zeige, so wie ich ihn in meinen träu- men geahnt habe, und ich meine stolze Zuversicht gerechtfertigt fühle, daß ich besser sei als der schwarm um mich herum! [Wien] 12. Jänner ich bin in einer Art von magnetischem schlummer befangen, welchem ich meine jetzige ruhe und beinahe möchte ich sagen gedankenlosigkeit ver- danke, von Zeit zu Zeit aber und bei irgend einer Berührung mit der Außen- welt mahnt es mich wie einen träumenden, daß mein gegenwärtiger Zu- stand nicht Wirklichkeit, sondern eben nur ein traum sei, und dann fürchte ich mich vor dem Augenblicke des erwachens, wie aber und durch welchen Einfluß dieses etat de hallucination in mir hervorgebracht worden ist, weiß ich selbst nicht. solch’ einen moment der Anmahnung habe ich gerade jetzt, und da denke ich daran, daß mein Zustand sich eigentlich nicht im minde- sten seit jener Zeit geändert hat, wo ich so feste, so wohl überdachte ent- schlüsse für meine Zukunft formirte, nämlich vor ein paar monaten, daß daher Alles, was damals galt, noch jetzt gültig ist, warum bin ich also jetzt geneigter, mich in mein verhaßtes Joch zu fügen? Warum erscheint mir die- ses weniger unerträglich? eben weil ich so zu sagen in einem traume, sei es nun vor erschöpfung oder sonst weßwegen, befangen bin. Aber soll ich in einem Zustande des traumes über das schicksal meines lebens verfügen? übrigens bin ich eigentlich noch zu gar nichts entschlossen oder gebun- den, ich habe bisher meine Abreise nur hinausgeschoben, verpflichtet habe ich mich noch nicht, wirklich abzureisen, d.h. meinen Posten anzutreten. Aber je länger ich in Wien bleibe, desto leichter werde ich mich dazu ent- schließen, das fühle ich, denn ungerechnet die legionen von verwandten, Bekannten, Beschützern und gönnern, Alles sogenannte vernünftige leute, welche an mir theils so, theils anders hämmern und schmieden, ungerech- net die Atmosphäre von geduldiger dummheit und schafsköpfiger ergebung, welche mich hier umgibt, ist auch der séjour von Wien wirklich dazu ge- macht, einem Pisino nicht nur erträglich, sondern vielleicht sogar angenehm
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„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ Tagebücher 1839–1858, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Untertitel
Tagebücher 1839–1858
Band
I
Autor
Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
Herausgeber
Franz Adlgasser
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-78612-2
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
744
Schlagwörter
Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort (Ffritz Fellner) 9
  2. Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg (1813–1858) – eine Lebensskizze 11
  3. Überlieferung der tagebücher 37
  4. Editionsrichtlinien 41
  5. Tagebücher 1839–1847 43
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