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78 Tagebücher
selben grassirt das Nervenfieber auf eine schauderhafte Art. Eine Menge
Bekannte sind und zwar meistens sehr gefährlich krank, seit dem plötz-
lichen tode des fürsten schönburg am 13. dieses monats sind der arme
junge Carl Esterhazy, Sohn der Gräfin Toni, Mrs. Clary, Frau des amerika-
nischen legationssekretärs, und endlich gestern nachmittags graf clam,
der generaladjutant des kaisers, vielleicht österreichs dinstinguirtester
mann, gestorben. unerhört ist die trauer und theilnahme um ihn, wo man
hinkömmt, hört man nur von todten und kranken sprechen, alle Bälle in
dieser letzten Zeit wurden contremandirt, kurz die ganze societé ist gewis-
sermaßen paralysirt, das vielbesprochene Jahr 1840 scheint sich statt, wie
man vorhersagte, auf eine angenehme, auf eine traurige Art auszeichnen
zu wollen. man hat mich hier sehr freundlich und herzlich empfangen, so
daß in mir der entschluß rege geworden ist, im künftigen Winter wieder
hieher zu kommen und überhaupt nicht mehr eine so lange Zeit verstrei-
chen zu lassen, ohne mich hier zu zeigen, als es gerade jetzt geschah, da ich
eigentlich seit 1836, denn 1837 ging ich nur sehr wenig in die große Welt,
nicht mehr in der societé erschienen bin, denn bei der Wiener gesellschaft
in erinnerung und en bonne odeur zu bleiben, darauf lege ich aus vielen
gründen einen besonderen Werth.
ob ich aber wirklich kommenden Winter hieher komme, hängt davon ab,
ob ich nicht inzwischen wieder andere Beschlüsse und Pläne fasse. ohne-
hin komme ich vielleicht stabil, d.h. in einer Anstellung hieher.
mir ist die gesellschaft hier ganz wie vordem erschienen, nur ich kam
mir ihr gegenüber verändert vor, auf eine menge dinge und kleine Aus-
zeichnungen keinen solchen Werth mehr legend und überhaupt meinen
sinn auf ganz Anderes gerichtet als sonst.
schade darum, denn man verdirbt sich so eine Quelle unschuldiger ge-
nüsse, freilich auch mancher désappointements. letzthin begegnete mir
eine sonderbare Aventure. Auf der Armen-redoute sprach mich eine mas-
que an, die sich dann als eine schöne von mir von vordem zu erkennen gab,
ein jetzt ziemlich passirtes ungarisches fräulein von tatschitz, die mir das
versprechen abnahm, sie zu besuchen. Als ich dieses nach einigen tagen
that, sprach sie mir von einem Piquenique, welches eine frau de mauvaise
societé und von ziemlich zweideutigem Rufe, eine Gräfin Pergen, geborene
eyb, gebe, und ich aus neugierde und pour le rareté du fait willigte ein zu
kommen. ich nahm dann als sauve garde einen guten Bekannten Baron
uechtritz mit mir, bedung mir aber aus, daß mein name wo möglich geheim
gehalten werden sollte. unglücklicher Weise wurde dieses aber nicht beob-
achtet, und auf dem Balle (welcher soit dis en passent eine rechte Attrape
war, weder genug comme il faut noch genug canaille, um amusant zu sein)
redete mich ein herr vianelli aus Aquileja an, welcher mich zwar nicht per-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien