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Jänner 1840
sönlich aber vom sehen aus görz zu kennen behauptete, da ich aber steif
und fest mein incognito bewahrte, glaubte er selbst, der kein großer geist
zu sein schien, sich geirrt zu haben, ich aber sagte ihm, ich kenne den Baron
Andriani recht gut, und ließ mir von ihm, d.h. von mir selber erzählen.
da erzählte mir dann der treuherzige vianelli, wie dieser Baron Andriani
jetzt kreiscommissär geworden sei, wie das ganze land görz mit vertrauen
und liebe auf ihn blicke als einen jungen menschen, der zu großen Würden
bestimmt sei, wie er sich eine reputation von talent gemacht habe, kurz
eine menge schöne sachen, die mich in meinem incognito doppelt freuten,
nur sagte er, habe er einen fehler, welchen ihm auch einige übel nähmen,
und dieser sei, daß er mit seinem vermögen nicht haushalte und zu viel
dépensire. übrigens wie gesagt erwarte das land viel und großes von ihm.
obwol ich alles dieß schon wußte und oft schmeichelhafte Beweise davon
erhielt, so freute es mich doch sehr, dieses hier wiederholt zu hören, und
überhaupt ist dieses eine meiner angenehmsten erinnerungen, zu wissen,
wie viel Popularität und ruf ich mir in meinem vaterlande gemacht habe.
Wer weiß, ob nicht der moment kommen dürfte, wo ich diese Popularität
werde nutzen können.
[Wien] 31. Jänner
der Abschied von Wien fällt mir hart, viel härter, als ich es gedacht hatte,
gerade jetzt, wo ich Wien erst recht zu goutiren anfange, muß ich weg, jetzt,
wo ich gerade und zwar mehr als sonst jemals mich in die angenehmste Po-
sition versetzt habe, um mir eine behagliche, angenehme existenz hier zu
bereiten, muß ich Wien verlassen, zwar, wie ich hoffe, nicht auf sehr lange,
aber doch verlassen. Jetzt da ich mehr Welt- und menschenkenntniß, einen
höheren und weiteren ideenkreis und eben dadurch mehr Aplomb habe und
daher wohl auch Andern liebenswürdiger bin als sonst, da ich ein halbes
kind war, bin ich auch mehr als damals à même, die Annehmlichkeiten
des lebens zu savouriren, und daher kostet es mich einen großen kampf,
sie alle zu verlassen. Zudem habe ich einige angenehme liaisons formirt,
welche ich vielleicht in einem Jahre nicht so wieder finden werde, wie ich
sie jetzt verlasse, und das schmerzt mich, oben an unter diesen steht die
lerchenfeld und ihr ganzes haus, vor Allem aber sie, ich komme so eben
von ihr, wo ich den Abend zubrachte, und habe ihr da meine nahe Abreise,
da ich davon früher nie sprach, angekündigt. ich wollte übermorgen früh
gegen 10 uhr fort, sie wollte aber durchaus, daß ich noch mit ihr speisen
solle, und ich sagte zu, so daß ich erst gegen 7 uhr nachmittags weg käme.
nun aber reut mich diese Zusage beinahe, denn sie dérangirt meine Pro-
jekte, vielleicht werde ich sie widerrufen. könnte ich nur eine plausible
Ausrede ersinnen, um noch hier zu bleiben.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien