Seite - 80 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
Bild der Seite - 80 -
Text der Seite - 80 -
80 Tagebücher
triest 7. februar
hier bin ich – hoc erat in votis! – und was das sonderbarste dabei ist, ist,
daß ich gar kein großes unbehagen dabei fühle, nicht einmal bei der idee,
bald nach Pisino zu müssen, ich weiß nicht, ob ich mich darüber ärgern oder
freuen soll.
der Abschied von Wien wurde mir sehr schwer, ich aß noch den letzten
tag en trés petit comité bei lerchenfeld, er selbst aß nicht zu hause, wor-
über ich nicht sonderlich betrübt war, denn trotz seiner guten eigenschaf-
ten ist er ein wunderlicher mürrischer, eifersüchtiger, alter kauz, und von
eifersucht konnte wohl etwas die rede sein, denn ich machte seiner hüb-
schen, jungen Frau (die wirklich mit ihm sacrificirt ist) ziemlich die Cour
und hatte ein wahres Attachement für sie, welches mir eben meine Abreise
um so fataler machte, nach dem essen, gegen 7 uhr, fuhr ich ab und die
ganze nacht durch bis gräz, wo ich ungefähr um dieselbe stunde ankam.
ich ging in gräz noch auf einen moment zu emmy thurn, die ich, seit ich
sie vor bald 7 Jahren zum Altar führte, nicht mehr gesehen hatte. tags
darauf verließ ich gegen 9 uhr grätz, die Wege waren grundlos, ein schau-
derhafter koth, so daß ich trotz allen Antreibens ziemlich schlecht fuhr.
Am 2. (sonntag) hatte ich Wien verlassen, am 4. speiste ich in laibach,
wo ich im Wirthshaus michael coronini traf, und fuhr dann gleich weiter,
bis ich in derselben nacht zwischen 2 und 3 uhr hier ankam. gestern früh
ging ich dann gleich zum Gouverneur, welcher mich sehr gut empfing, mir
nur ein paar beinahe scherzhafte Worte über mein langes Ausbleiben sagte
und mich dann fast anderthalb stunden bei sich behielt und sich von mir
alle möglichen Anekdoten und cancans von Wien erzählen ließ. obwol es
also eigentlich gar nicht nothwendig gewesen wäre, so hatte ich doch den
unglücklichen einfall, ihm zu erzählen, daß ich schon seit mehreren tagen
von Wien abgereist und nur durch die schlechten straßen aufgehalten so
spät angekommen sei, nun aber wollte es der Zufall, daß er mich heute in
der Wiener Zeitung unter den Abgereisten las (obwol ich bei der linie ge-
sagt hatte, ich wolle nicht in die Zeitung kommen) und mir also meine lüge
heute Abend bei sorell halb scherzend halb im ernste vorhielt, welches
mich in große verlegenheit brachte, weil ich mich vor mir selber schämte,
dieß mag mir zur lehre dienen, nie mehr solche einfältige lügen zu fabrizi-
ren.
[triest] 10. februara 1
ich habe nun hier alle meine curalien gemacht, von den höchsten bis zu
den untersten, und donnerstag den 13. fahre ich nach Pisino ab. die Be-
a Andrian notierte das datum irrtümlich mit 10/12, also 10. dezember.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien