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September 1840
zen Urlaubs; denn wenn ich während demselben mein längst in mir gereif-
tes und beschlossenes Werk auch nicht zu ende bringen kann, wie ich An-
fangs glaubte und hoffte, so will ich doch wenigstens den grundstein und die
Hauptfondements zu demselben legen; fortbauen und ausschmücken läßt
sich dann leichter selbst mitten unter den Zerstreuungen einer großen stadt
und eines langweiligen Beruflebens.
dieser entschluß, dieses Projeckt ist aber in mir nach und nach zur
selbständigen Reife gediehen; vor einem Jahr in der freien, großartigen
schweitz, in einer Zeit der crisis meines innern, zu meinem dunkeln Be-
wußtseyn gekommen, habe ich dieselbe allmählich in mir herangebildet;
meine reise, mein zerstreuungsvoller Aufenthalt in Wien und dann mein be-
ständiges, angestrengtes geschäftsleben in istrien haben dessen reife viel-
leicht verzögert, jetzt aber fühle ich den Augenblick gekommen, wo die idee
zur Wirklichkeit werden oder aufgegeben werden muß; letzteres aber soll
und darf nicht geschehen, denn sie ist das einzige glied in der kette, durch
welche ich mit meinen uralten Wünschen und hoffnungen, die ich gottlob
noch nicht aufgegeben habe, zusammenhänge; durch welche mir noch eine
höhere, geistigere, ruhmvollere existenz zufallen kann, als die mir bisher
beschieden war; deßhalb hänge ich mit Enthusiasmus an ihr als an dem ein-
zigen übrig gebliebenen rettungs-Anker jener entwürfe, jener Wünsche, die
mir theurer waren und noch sind als mein leben, denn welcher andere Weg
ist mir sonst offen? die diplomatie ist mir durch fürst metternich’s ausge-
sprochene persönliche Abneigung gegen mich verschlossen und liegt auch
sonst nicht mehr so sehr in meinen Wünschen als sonst, seitdem ich erkannt
habe, wie wenig ruhm dabei zu verdienen sey, ein gehorsames rad an ei-
ner alten, geistlosen, dem Untergang nahen Maschine zu seyn; ein thätiges
(i.e. thätliches) eingreifen in die Weltläufe ist bey dem jetzigen politischen
Zustand der Erde nicht thunlich; so will ich denn geistig in dieselben ein-
greifen, mir eine moralische macht formiren, überzeugt, daß der Augenblick
kommen wird, wo sie zur phisischen Macht werden wird; Österreich wird
meine stimme erkennen lernen wie die stimme gottes in der Wüste, es wird
sie kennen, achten und lieben lernen, und die Zeit wird kommen, so hoffe
ich, wo ich auf den schwingen der öffentlichen meinung auf den Platz gelan-
gen werden werde, welcher mir gebührt, zu dem ich mich berufen fühle.
[Arona] 21. september
meine idee, gräfin lottum zu sehen, wird nun wohl zu Wasser werden,
denn ich hatte sie gebeten, mir nach louèche zu schreiben, wo ich sie finden
würde; nun aber ist es nicht mehr möglich; auch kann ich, solange ich nicht
weiß, ob ich über den gotthard komme oder nicht, mir diesen Brief nirgends
hin nachschicken lassen, so daß ich wohl erst dann ihren séjour erfahren
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien