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„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
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9123. September 1840 gestern war ein sehr rauher, unfreundlicher schneetag, Abends fing es an zu regnen und regnete fort bis heute mittag, und so ist es jetzt ein wenig wärmer geworden; doch sieht man es gleich, daß man das Clima Italiens verlassen hat. ich bin gestern und heute den ganzen tag zu hause gewesen und habe ge- lesen und geschrieben, und es war mir auch nicht einen Augenblick die Zeit zu lange; ich habe an mein Werk Hand angelegt und mit flüchtiger Hand einige Blätter geschrieben; was ich jetzt schreibe, ist ohnehin mehr Skizze als bleibend, denn die feile soll erst angelegt werden und das ganze bes- ser ausgearbeitet, wenn ein mal die hauptfäden gespannt und die haupt Ideen niedergeschrieben sind; es wird mir aber ziemlich sauer, was ich dem umstand zuschreibe, daß es die erstlinge meiner feder sind, und ich daher mit größerem Zagen und Wichtigkeit daran gehe als ein abgehärteter durch lange Praxis indifferent gewordener scriblfax. das Buch österreich im Jahre 1840 erscheint mir nachgerade so dumm, daß ich mich versucht fühle, eine recension deßselben als vorläuferin des meinigen in die Welt zu schicken. in dieser stadt ist durchaus nichts merkwürdiges zu sehen, ausgenom- men das Portrait des colonells g. luvini-Perseghini, des großen revolutio- närs vom december vorigen Jahres1 und jetzigen Präsidenten des cantons ticino, dessen Bild sammt einer tirade über freyheit etc. von allen Wänden hängt. gestern nach meiner Ankunft ging ich spazieren und sah auf dem felsen, auf welchem das schloß steht, ein schaf, welches sich in einer höhle jenes schauerlich gezackten und jähen felsens verlohren hatte und nunmehr trotz aller Anstrengungen sich nicht mehr aus derselben, welche von ungeheu- ren Abgründen umschlossen war, herab wagte; ein Mal versuchte es dieß und wäre um ein haar, hätte es sich nicht an einem strauch festgehalten, in die Tiefe gestürzt; unten standen ein paar Buben und warfen das arme thier mit steinen, um es hervor zu treiben, doch umsonst. Als ich Abends je- nen spaziergang wiederholte, stand das schaf noch dort, und es waren noch 2 andere, die auf dem felsen weideten, dazu gekommen, und sie wurden noch immer mit Steinen geworfen; eine große Menge Menschen hatte sich versammelt; da kletterten 2 Burschen mit der unbegreiflichsten Keckheit auf umwegen den felsen hinauf und in die höhle hinein und brachten die Schafe glücklich heraus; mir war das Schauspiel interessant, weil ich es nie für möglich gehalten hätte da hinauf zu kommen. An der tracht der hiesigen Bauern ist nichts besonderes, die Weiber tragen strohhüte oder kleine ziem- 1 Am 6.12.1839 wurde die ultramontane regierung des kantons tessin gewaltsam von der liberalen opposition gestürzt.
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„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ Tagebücher 1839–1858, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Untertitel
Tagebücher 1839–1858
Band
I
Autor
Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
Herausgeber
Franz Adlgasser
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-78612-2
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
744
Schlagwörter
Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort (Ffritz Fellner) 9
  2. Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg (1813–1858) – eine Lebensskizze 11
  3. Überlieferung der tagebücher 37
  4. Editionsrichtlinien 41
  5. Tagebücher 1839–1847 43
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