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September 1840
ins Theater, wo Don Juan auf das gräßlichste écorchirt wurde; Madame
Birch-Pfeiffer ist Unternehmerin; dort fand ich auch jene beyden Herren
und ging dann mit frank etwas herum etc. frank ist ein gutmüthiger, an-
genehmer mensch, sehr gefällig und freundlich, und für einen reisenden
in der Schweitz, die er von Grund aus kennt, sehr nützlich; als Diplomat
aber scheint er mir eher nicht sehr ausgezeichnet und wissenschaftlich;
überhaupt mehr einer der untergeordneten handlanger der diplomatie als
sehr tief eingeweiht in die historischen und staatswissenschaftlichen vor-
kenntnisse, die dem Staatsmann unentbehrlich sind; übrigens ist er ein
passionirter maler und kennt auch sonst aus der erfahrung die schweitzer
Zustände ziemlich genau, obwohl er sie ganz regelrecht durch die k.k. oder
vielmehr fürst metternichische Brille ansieht, welche gerade nicht immer
am richtigsten zeigt.
Wenn der Pilatus setzt auf den hut,
So steht das Wetter im Lande gut;
Wenn er hat einen degen,
so gibt es regen.
[luzern] 26. september
heute vormittags war ich bey dem Pfyffer’schen denkmal der am 10. Au-
gust, 2., 3. September 1792 in Paris gefallenen Schweitzer; der in einen
Felsen gehauene Löwe von Thorwaldsen; als Custod dabey ist ein ehema-
liger schweitzer gardist in seiner alten uniform, eine theatralische mu-
merey; das Monument ist aber schön und edel. Dabey ist ein Cottage mit
schweitzer Ansichten, costumes, Arbeiten etc. nachmittags spazierte ich
längs des see’s in der heimlichen gegend, und einer sehr hübschen dame,
die sich öfters nach mir umsah, nachgehend, kam ich in ein deliziöses gar-
tenhaus beinahe mitten im see, welches einem herrn friedrich Balthasar
von Luzern gehört; der Eigenthümer war äußerst freundlich, zeigte mir alle
herrlichkeiten dieses ganz charmanten Aufenthalts und ließ mich dann in
seiner barque zurück rudern; die Dame aber sah ich nicht wieder; sie war
seine schwiegertochter.
Abends hatte ich eine Aventure mit einer hübschen schweitzerin von
der leichten sorte aus einem dorfe unweit von hier, die mich mit aus der
stadt führte und mich auf morgen zu sich einlud, was aber wohl schwerlich
geschehen wird.
mein norddeutscher Baron secchirte mich heute morgen, mit ihm eine
partie von 2 tagen nach engelberg zu machen, was mir, als ich ruhig hier
sitzen und arbeiten will, nicht convenirte; nothgedrungen aber willigte
ich ein, mit ihm wenigstens bis nach stans zu fahren, von wo ich bis zu
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien