Seite - 98 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
Bild der Seite - 98 -
Text der Seite - 98 -
98 Tagebücher
tisch wieder hier seyn werde. heute früh war ich auf der Post und keinen
Brief von Gräfin Lottum, sie wird also wohl, wie ich dachte, gar nicht in der
Schweitz seyn; ich hätte sie unendlich gerne wieder gesehen, denn ihr Bild
ist eines der liebsten, welches ich in der Erinnerung trage; doch jetzt wäre
es wohl in jedem falle schwer gewesen, und dann ist italien ein land, wo
ich sie wohl bald sehen dürfte.
[luzern] 28. september
Aus unserer Parthie nach stans ist nichts geworden, weil das Wetter ge-
stern Früh zweifelhaft schien. Ich arbeitete Vormittag lange; die Direction
ist gegeben, der Plan ist reiflich durchdacht, und die Ausführung werde ich
in mailand fortsetzen, wo ich mehr ruhe und, was für mich wenigstens die
Hauptsache ist, mehr Comfort um mich habe als hier; ich glaube, auf einem
harten sessel in einem leeren öden Zimmer würde ich in meinem leben
nichts Gescheidtes zusammen bringen; deßhalb war mir auch meine bishe-
rige interims-Wohnung in mailand so im höchsten grad fatal, und deßhalb
freue ich mich nun auf meine neue, die ich mir so comfortable als möglich
einrichten will.
später stieg ich mit frank und einem Bekannten von ihm, einem eidge-
nössischen oberstleutnant und luzerner Patrizier herrn v. ehlger,1 herum;
dieser ist ein sehr interessanter gebildeter mann, der in frankreich, Baden
und spanien gedient hat und viel erlebte.
nachmittags fuhren wir 3 nach küssnacht auf einem herrlichen Weg,
bey der ruine habsburg (lauffenberg) vorbey und durch das dorf meggen,
wo sich die Begebenheit mit rudolf von habsburg und dem Pfarrer zuge-
tragen haben soll, welche schiller in seiner berühmten Ballade so schön
besungen hat;2 auch ist ober dem eingang der Pfarrkirche ein Bild, welches
jenes ereigniß vorstellt. in küssnacht war großes freyschießen von drei
Schützengesellschaften von Luzern, Schwytz und Zug; es war schon vor-
bey, und die schützen saßen beym diner, wobey viel toasts ausgebracht
und speeches, politische und andere gehalten wurden; gerade als wir dazu
kamen, sprach einer auf seiner Bank stehend von Arnold v. Winkelried,
von der schweizerischen tapferkeit etc. und sagte: Ja, wenn man für einen
fürsten, der über Alles gebiethet, kämpfen soll, da glaube ich wohl, daß
man keine solchen thaten vollbringt, aber wir schweitzer, wir kämpfen für
1 richtig franz elgger von froberg. er wurde 1847 generalstabschef der truppen des schwei-
zerischen sonderbunds und trat nach dessen niederlage in die päpstliche Armee ein, wo er
zum general aufstieg.
2 friedrich schiller, der graf von habsburg (1803). geschildert wird, wie rudolf von habs-
burg einem Priester sein Pferd überlässt, damit er einem sterbenden die kommunion brin-
gen kann.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien