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Oktober 1840
[mailand] 7. oktober
hier fand ich die großfürstin hélène mit ihren 3 töchtern und par con-
sequent unseren hof, welches letztere mich freute, da es mir gelegenheit
gab, gabrielle zu sehen. Am selben Abend war illuminirtes theater, und
ich lernte in der hofdamenloge eine junge und charmante hofdame der
Großfürstin, Gräfin Elisa Momonoff glaube ich, kennen.
im übrigen ist mailand jetzt eben sehr langweilig, Alles auf dem lande
und im lager, und ich bin sehr stark mit der einrichtung meiner neuen Woh-
nung beschäftigt; Neipperg, beinahe der Einzige der noch hier geblieben ist,
ist ganz in seine Phrenologen und italiänischen gelehrten (eine mir ganz
besonders zuwidere race) vertieft und somit fast ungenießbar; übrigens habe
ich jetzt auch wirklich für nichts Anderes sinn als für tische und stühle.
heute begegnete ich auf der straße meine mir zugedachte Braut von die-
sem Winter, Gräfin Radziwill aus Wien, am Arme eines jungen Monsieurs;
wenn ich mich recht erinnere, hat sie einen czartorisky oder so was ge-
heurathet; sie sah mich aber nicht.
[mailand] 10. oktober
dieser tage starb hier monsignore fagnani und hinterließ 3 millionen lire
den künftig hier zu errichtenden Jesuiten, und wenn binnen 7 Jahren keine
Jesuiten hier eingeführt seyn sollten, soll dieses geld dem könig von sar-
dinien für die dortigen Jesuitenklöster zufallen. Andere 2 millionen hin-
terließ er zur unbeschrenkten disposition des grafen mellerio, gewesenen
hofkanzlers für italien, der chef der sogenannten Biscottini oder der hiesi-
gen ultrakatholischen Parthey, welche bloß in dem aufgeklärten, liberalen
Cardinal Gaisruck eine Opposition findet, übrigens sehr mächtig ist und
besonders an dem Wiener hof und der kaiserin einen starken appui hat.
sein haus hinterließ fagnani zur gründung eines instituts für le donne
periclitanti; wer aber soll bestimmen, wo und wann eine Frau anfängt zu
periclitiren? Dieses wäre eine sehr picante Frage; sein übriges Vermögen
erben seine 2 Schwestern, die Gräfin Arese und die Marquesse von Hert-
ford, in welchem Zeitalter leben wir! heute speiste ich bey hartig mit drey
türkischen Offizieren, die schon seit 6 Jahren in Wien auf Instruction sind
und im Lager von Monte Chiari waren, woher sie eben kommen; mit ihnen
war bloß oberstleutnant hauslab, der chef jenes von der türkischen re-
gierung bezahlten Institutes; er gefiel mir sehr gut und schien mir seinen
Beruf von einem höheren standpunkt aufzufassen.
[mailand] 16. oktober
die politischen ereignisse im orient beschäftigen jetzt stark Alle und be-
sonders mich, obwohl ich an einen krieg durchaus nicht glaube, so war der-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien