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108 Tagebücher
selbe doch seit 1815 nie so nahe wie jetzt. fürst metternich hat da wieder
„in seiner Weisheit“ einen dummen Streich mehr getan; was war es nöthig,
daß wir uns so ohne ein directes interesse, ohne einen vernünftigen grund
de gaieté de cœur in eine affaire verwickeln ließen, die sehr leicht einen
krieg herbey führen kann, und Alles das warum? um rußlands ehrgeiz
und ländergier zu unterstützen und englands handelsspeculationen einen
unangefochtenen Weg durch Syrien zu öffnen; daß wir doch immer und ewig
im schlepptau anderer mächte seyn müssen! Wann wird man endlich auf-
hören, das goldene kalb metternich anzubeten? der traktat vom 15 July
läßt sich aus 2 gesichtspunkten betrachten:1 aus dem der form und des
inhalts, in der form war er auf jeden fall und selbst wenn Alles wahr wäre,
was die 4 mächte angeben, für frankreich verletzend, es so mir nichts dir
nichts auszuschließen und hinter seinem Rücken zu contrahiren; war mit
thiers wirklich kein vernünftiges Abkommen möglich, so hätte man in ei-
ner sache, von der man ohnehin wußte, daß sie zur Publicität kommen
würde und mußte, und ehe man einen zur offenkundigkeit bestimmten
tractat abschloß, auch gleich Anfangs zur Publicität seine Zuflucht nehmen
und frankreich mittels einer öffentlichen collectiv note auffordern, billi-
gen Bedingungen beizutreten mit dem Beisatze, daß man widrigen falls
genöthigt seyn würde, dies allein ohne frankreich festzusetzen, da man
dieses aber nicht that, so hatte thiers ursache oder wenigstens einen vor-
wand zu glauben, daß diese mächte noch zu keinem entschluß gekommen
seyen.
seinem inhalt nach, nämlich in hinsicht der politischen Zweckmäßigkeit
der darin enthaltenen stipulationen, können sich verschiedene Ansichten
geltend machen; ich glaube, daß im besten Falle dadurch nichts gewonnen
ist, denn wenn auch syrien momentan unter die herrschaft des großherrn
zurück kehrt, so ist dadurch für die macht und stabilität der türkey doch
nichts gewonnen, denn wie lange wird es währen, und jenes land revoltirt
sich wieder oder fällt abermals unter die wenn auch nicht nominelle so doch
factische herrschaft eines Paschas? und dann, wie lange kann mehemet Ali
noch leben? eine höchst wichtige nachricht aber, die gestern kam ist die
1 Zur Unterstützung des Sultans im Konflikt mit dem Statthalter in Ägypten Mehmed Ali
über die herrschaft im osmanischen reich schlossen die vier mächte großbritannien,
Preußen, österreich und russland am 15.7.1840 in london ein Bündnis mit der türkei
zur Wahrung der integrität des osmanischen reiches, das sich gegen mehmed Ali und das
ihn unterstützende frankreich richtete. 1841 musste sich mehmed Ali unterwerfen und
auf seine Ansprüche auf syrien verzichten, im gegenzug erhielt er die erbliche statthalter-
schaft über Ägypten. frankreich trat dem vertrag, der auch die sperre der meerengen für
kriegsschiffe im frieden vorsah, im Juli 1841 bei.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien