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112 Tagebücher
nem unglücklichen land,1 das Attentat darmès auf louis Philippe, und neu-
lich die Entlassung Thiers;2 dieses letztere scheint mir der einzige, jedoch
große fehler l. Philippe’s, denn thiers wird dadurch und zwar à ses dessous
ein Abgott des volks und eine wahre puissance, er erscheint als eine victime
de l’honneur national, und wenn die reste napoleons, die er reclamirt hat,
nach frankreich kommen werden, was wird eine rede von ihm dann auf die
exaltirten franzosen nicht vermögen!3 endlich kriegsrüstungen allenthal-
ben, in frankreich, deutschland, Piemont, rußland, england, überall, nur
bey uns nicht; dieses übrigens ist das einzige Gescheidte was wir seit langem
gethan haben.
[mailand] 5. november
es ist jetzt französische komödie im teatro rè, ziemlich mittelmäßig mit
Ausnahme einiger sujets, das rendez-vous der éléganten Welt, d.h. derjeni-
gen die schon hier ist; bisher ist dieses noch die Minderzahl, jedoch fangen
die leute an, vom lande herein zu kommen. das leben hier wird mir nach
und nach angenehmer, so wie sich die stadt füllt und ich bekannter werde,
welches letztere ich jedoch absichtlich nicht übereile, weil ich aus erfahrung
weiß, daß es immer besser ist in einer noch fremden stadt nach und nach
gelegentlich zu pénétriren, als de premier abord sich à tort et à travers zu
lanciren; besonders aber ist dieses hier der Fall, wo wir Österreicher von den
hiesigen nur ausnahmsweise gut empfangen werden, und man daher auf ei-
nen günstigen moment warten muß, wenn man mit Jemand bekannt werden
und diese Bekanntschaft nicht auf einige visiten beschränken will; bekannt
werden aber will ich mit den mailändern, erstlich weil es sonst gar zu en-
nuyant wäre, dann weil ich wirklich glaube, es sei der mühe werth, denn
es gibt hier nicht nur eine menge superbe frauen, sondern auch solche, die
ganz comme il faut und grand monde sind, so scheint es mir wenigstens, und
so höre ich von Anderen, und endlich je me pique de vanité zu versuchen,
ob mir dann auch alle thüren verschlossen bleiben sollen wie dem hiesigen
husaren- und dragonervolke.
1 Am 12.10.1840 wurde maria christina, die Witwe könig ferdinand vii., gezwungen, als
regentin für ihre minderjährige tochter isabella ii. abzudanken. Wichtigste figur der
neuen führung und seit mai 1841 regent war general Baldomero espartero.
2 Am 15.10.1840 scheiterte ein Anschlag auf könig luois Philippe in Paris. Beim Attentä-
ter, marius darmès, dürfte es sich um einen einzeltäter gehandelt haben, obwohl ihm die
Anklage verbindungen zu kommunistischen geheimgesellschaften vorwarf. er wurde zum
tod verurteilt und am 31.5.1841 hingerichtet. die regierung thiers wurde am 21.10.1840
entlassen.
3 die überreste napoleon i. wurden von st. helena nach frankreich überführt und am
15.12.1840 feierlich im Pariser invalidendom beigesetzt.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien